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Archiv-Artikel

Vom Westen gerühmt, zuhause verfolgt

Nach Artikeln über Korruption in der Regierung wurde die moldawische Journalistin Alina Anghel in ihrer Heimat Opfer von Übergriffen. Als Stipendiatin einer Hamburger Stiftung erholt sie sich in der Hansestadt von den brutalen Einschüchterungen

40 Limousinen für die Politiker im ärmsten Land Europas„Uns interessiert, warum so wenig Kinder in Deutschland geboren werden“

Von Eva Weikert

Mehr als ein Jahr ist es jetzt her. An einem Sommermorgen wurde Alina Anghel in ihrer Heimatstadt Chisinau von zwei Männern überfallen und zusammengeschlagen. Eine lange Narbe am Unterarm erinnert die 29-Jährige bis heute und tausende Kilometer vom Tatort entfernt an diesen Schreckenstag. Anghel ist überzeugt, dass hinter dem Attentat die Regierung von Moldawien steht – das letzte kommunistische Regime Europas. Die Journalistin hatte über Korruption und Machtmissbrauch in der Kommunistischen Partei (KP) berichtet. Um der Reporterin Sicherheit und Erholung von Einschüchterung und Überfällen zu bieten, hat die Hamburger „Stiftung für politisch Verfolgte“ sie für ein Jahr in die Hansestadt eingeladen.

„Was geschehen ist, hat mir Angst gemacht“, sagt Anghel im Rückblick auf die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre. Sie sitzt am Frühstückstisch der kleinen Altbauwohnung am Rande des Schanzenviertels, welche die Stiftung für ihre Stipendiaten angemietet hat. Die überparteiliche Stiftung, die 1986 von Hamburgs damaligem Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) in Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur gegründet wurde, hilft Menschen, die wegen ihres Engagements für Demokratie und Menschenrechte in ihren Heimatländern verfolgt und bedroht werden.

Anghel wagte 2003 die Veröffentlichung eines Artikel, der ihr Leben und das ihrer Kollegen verändern sollte. Unter dem Titel „Luxus im Land der Armut“ deckte die Reporterin der unabhängigen moldawischen Wochenzeitung Timpul den mit Staatsgeld finanzierten ungesetzlichen Ankauf von 40 Skoda-Limousinen für die Regionalchefs der kleinen Republik auf. Das 4,2 Millionen Einwohner zählende Moldawien gilt mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 43 Euro als ärmstes Land Europas.

Die Korruptions-Story brachte Timpul eine Klage der Regierung auf zwei Millionen US-Dollar Schadensersatz ein – mit der Folge, dass die Zeitung schließen musste. Ein Angebot der Machthaber, die Klage im Tausch gegen eine öffentliche Entschuldigung für Anghels Berichterstattung zurückzuziehen, hatte die Redaktion abgelehnt. „Trotz der drohenden Schließung“, erinnert sich die Reporterin, „haben alle Kollegen zu mir gehalten.“

Die Redaktion aber gab nicht auf, sondern gründete sich als Timpul de dimineta (Morgenpost) neu. Dort veröffentlichte Anghel im vergangenen Jahr Berichte über Vetternwirtschaft an der Spitze des moldawischen Innenministerium und erhielt kurz darauf Drohanrufe. „Ein Mann sagte, ich solle aufhören zu schreiben und das Land verlassen, sonst sei ich meines Lebens nicht mehr sicher“, berichtet sie. An einem Morgen im Juni lauerten ihr dann zwei Männer vor ihrem Elternhaus auf und schlugen sie zusammen.

Auch die moldawische Öffentlichkeit sei der Ansicht, hinter dem Überfall stecke die Regierung, sagt Anghel. Für ihre systemkritischen Artikel wurde sie mit mehreren internationalen Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem „Press Freedom Award“ der Organisation „Reporter ohne Grenzen Österreich“.

Unabhängige Zeitungen werden in Moldawien ständig wegen „Diffamierung und Beleidigung des Staates“ mit Bußgeldzahlungen überzogen, wie „Reporter ohne Grenzen“ beklagt. Zudem unterstünden kritische Blätter einer indirekten Zensur, weil die KP dort die Anzeigenschaltung massiv behindere.

Kommunistenchef Wladimir Woronin war mit Unterstützung aus Moskau 2001 in der ehemaligen, zwischen Rumänien und der Ukraine gelegenen Sowjetrepublik an die Macht gelangt. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen März konnte sich die KP unter Woronin trotz großer Verluste erneut die Mehrheit sichern. Die US-Regierung monierte damals Polizeischikanen gegen die Opposition und Einschüchterung von unabhängigen Bürgerrechtsgruppen im Wahlkampf.

Trotz Unterdrückung und Armut in ihrer Heimat will Anghel so schnell wie möglich zurück. Ihr Stipendium in Hamburg, das sie am 3. Mai antrat, hat sie verkürzt. Zwar sei sie hier keinesfalls einsam, sondern über das Netzwerk der Stiftung in intensivem Kontakt mit deutschen Kollegen und anderen Stipendiaten. Auch gefalle ihr die Stadt, weil sie „so grün wie Chisinau“ und „sehr gastfreundlich“ ist, lobt Anghel: „Aber ich sehne mich nach meiner Arbeit, meinen Freunden und meiner Familie.“

Schon im Oktober will die 29-Jährige wieder in Chisinau sein, wo sie bei ihren Eltern wohnt. In Moldawien sei das Zusammenleben der Generationen Tradition und aufgrund der grassierenden Armut für viele auch gar nicht anders möglich, sagt die Redakteurin, die aus Deutschland für ihre Zeitung vor allem über „soziale Probleme und Familienstrukturen“ berichte: „Für uns ist zum Beispiel sehr interessant“, so Anghel, „warum in Deutschland so wenig Kinder geboren werden und wie die ältere Generation versorgt wird.“

Nach der Heimkehr im Herbst wird sie nicht wieder als Reporterin arbeiten. Denn der brutale Angriff vor einem Jahr hat seine Wirkung nicht verfehlt: Die Attacke habe sie so geängstigt, räumt Anghel ein, dass sie noch vor ihrem Aufbruch nach Hamburg auf den Vorschlag ihres Chefs einging und von der Reporterstelle in die Blattplanung an dessen Seite wechselte. Weil sie auf dem neuen Posten wenig veröffentlicht, ist sie weniger im Visier des moldawischen Regimes.

Der Gerichtsstreit der Regierung gegen die aufmüpfigen Journalisten des kleinen, angesehenen Blattes mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren läuft unterdessen weiter. „Werden wir verlieren“, kündigt Anghel an, „ziehen wir nach Straßburg vor den Europäischen Menschengerichtshof.“