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Archiv-Artikel

Güle güle Drogendealer

Im Mariannenkiez gehen türkische Eltern erstmals massiv gegen Drogenhändler vor. Das ist nicht ungefährlich: Sie müssen damit rechnen, dass sie sich mit ihrer eigenen Verwandtschaft anlegen

Von Cem Sey

Im Mariannenkiez gehen türkische Eltern erstmals massiv gegen – ebenfalls türkische – Drogendealer vor. Gemeinsam mit den Mitarbeitern des Naturspielplatzes „Civili Park“ in der Waldemarstraße haben sie eine Unterschriftenaktion initiiert. In dem Flugblatt sprechen sie von einer „letzten Warnung“ und drohen den Dealern, die vor allem mit Haschisch und LSD handeln, mit „drastischen Maßnahmen“. „Wir, die Kreuzberger Eltern, werden unsere Kinder nicht durch euch vergiften lassen!“, heißt es weiter in dem Flugblatt.

Ein wichtiger Treffpunkt der Dealer ist der Bolzplatz an der Waldemarstraße. Vergangene Woche eskalierte dort die Lage, berichtet Ercan Yasaroglu, ein Mitarbeiter von Civili Park. Als er einen 13-Jährigen mit einer Tüte voll Haschisch in der Hand und einer LSD-Tablette im Mund erwischte, habe er diesen ausgefragt. Dadurch konnte er die Dealer mitten auf dem Kinderspielplatz auf frischer Tat erwischen. Als sie handgreiflich wurden, kamen die Eltern der dort spielenden Kinder zur Hilfe. Die Dealer wurden verprügelt. Das war der Anfang der Initiative.

Dabei müssen sich einige Jugendarbeiter völlig neu orientieren. Güner Arkis vom Jugendzentrum Naunynritze etwa. „Früher wollte ich diesen Jugendlichen helfen, die ja auch selber Opfer sind“, sagt sie. „Aber sie sind eine verlorene Generation. Jetzt ziehe ich eine Linie und versuche die Kinder vor ihnen zu retten.“

Das ist nicht einfach. Denn die Kinder sehen in den Älteren, die zumeist Anfang zwanzig sind, ihre Vorbilder. „Sie finden sie cool, so wollen sie auch sein“, beklagt Arkis. Mittlerweile seien viele Kinder bereits im Alter von zwölf Jahren Konsumenten von Marihuana und LSD. „Die Ware, die sie bekommen, ist nicht ungefährlich“, betont die engagierte Jugendarbeiterin. „Die Drogen sind genmanipuliert und gestreckt.“ Zudem versuchten die Dealer nicht nur die Kinder als Absatzmarkt zu gewinnen, sondern sie nutzten sie auch als Drogenkuriere aus.

Obwohl es um ihre Kinder geht, ist es schwierig, die türkischen Eltern in den Kampf gegen Drogendealer einzubinden. Die Angst spielt dabei eine geringe Rolle. Vielmehr müssen sie damit rechnen, dass sie gegen ihre eigene Verwandtschaft vorgehen. „Denn es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens einen Angehörigen in diesem Geschäft hat“, sagt Arkis.

Dennoch scheinen die Eltern sich zunehmend der Problematik anzunehmen. Ein türkischer Lebensmittelhändler, der im Mariannenkiez wohnt und arbeitet, berichtet, wie er um seine beiden Kinder fürchtet: „Man möchte hier weg, sobald die Kinder zwölf sind. Aber wo sollen wir hin? Die Dealer haben hier alle Kinder unter Kontrolle. Auch deutsche Mädchen aus dem Kiez arbeiten für sie. Als ob die türkischen nicht ausreichen, ist seit kurzem auch eine griechische Drogenbande zugange.“

Deshalb sammelt auch er Unterschriften. Die Resonanz sei groß. Und obwohl er davor Angst hat, irgendwann niedergestochen zu werden, will er mit seinem Engagement weitermachen.

Hilfe von der Polizei erwarten die Anwohner nicht. „Wir haben mit der Polizei oft geredet“, erzählt Arkis. „Sie sagt, das seien kleine Fische, für die sich der Aufwand nicht lohnt.“