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Archiv-Artikel

mit der u-bahn in die sahara von RALF SOTSCHECK

An Lautsprecherdurchsagen in der Londoner U-Bahn ist man gewöhnt. Früher wurden die Passagiere darüber informiert, dass es wieder mal technische Probleme gebe und man sich zu Fuß auf den Nachhauseweg machen soll. Seit den Anschlägen von London sind es Sicherheitshinweise. Dazwischen ertönt aber regelmäßig die Durchsage, dass man sich „aufgrund der ungewöhnlich hohen Temperaturen mit genügend Wasser für die U-Bahn-Fahrt eindecken“ solle. U-Bahnfahren im Sommer ist für Engländer offenbar etwas Ähnliches wie eine Sahara-Expedition.

Auch in der U-Bahn selbst hängen Plakate, auf denen sich London Transport für die Hitze in den Waggons entschuldigt und verspricht, „neue technologische Entwicklungen zur Senkung der Temperaturen“ zu beobachten und, falls möglich, einzusetzen. Die Verantwortlichen wären vermutlich überrascht, erzählte man ihnen von Klimaanlagen. Bis dahin sollte man nicht ohne Wasser reisen. Doch das ist knapp geworden in Großbritannien. Das Land hat den trockensten Winter und Frühling seit 30 Jahren erlebt, in London hat es seit Wochen nicht geregnet. Die meisten Wasserunternehmen im Süden Englands haben Rationierungen eingeführt und Rasensprengen verboten. Bürgermeister Ken Livingstone riet der Bevölkerung, nach dem Pinkeln die Toilette nicht zu spülen.

Besser wäre es, in die Büros der Wasserbosse zu pinkeln. Wie bei der Privatisierung der Eisenbahn, seit der das Bahnfahren zum Abenteuer mit ungewissem Ausgang geworden ist, so sind seit der Privatisierung der Wasserindustrie immer häufiger die Wasserhähne versiegt. Die neuen Herren haben nämlich in dem Irrglauben, dass das Wasser von selbst weitersprudeln werde, nichts investiert, sondern die Profite in die eigene Tasche gesteckt. Bei Thames Water sickern täglich 915 Millionen Liter Wasser aus undichten Rohren in die Erde. Das würde ausreichen, um jeden U-Bahn-Passagier täglich mit 300 Litern Wasser als Wegzehrung für die tropische Reise zu versorgen.

Wann es regnen wird, weiß nicht mal Michael Fish. Der pensionierte Meteorologe, der früher den Wetterbericht im BBC-Fernsehen verlas, ist der berühmteste Wetterfrosch im Land – allerdings aus eher peinlichen Gründen: Er hatte vor 18 Jahren den schlimmsten Wirbelsturm, der Großbritannien seit 300 Jahren heimsuchte, nicht vorhergesagt. Dafür lässt man solche Leute Meteorologie studieren. Seitdem geht er auf Nummer sicher und erklärt nun vage, dass es „bald wieder Regen gebe“ werde.

Bis dahin muss man sich mit den Rationierungen abfinden. Oder auch nicht. In der gesamten Nachbarschaft in einem Vorort südwestlich von London sind die Gärten ausgedörrt, der berühmte englische Rasen ist braun und verbrannt. Nur in Mister Walkers Garten blüht alles prächtig. Am Wochenende musste er sogar den Rasen mähen. Das machte die Nachbarn misstrauisch. Einige legten sich nachts auf die Lauer – und siehe da: Um vier Uhr morgens schlich Mister Walker im Pyjama mit einem Schlauch bewaffnet in den Garten und bewässerte ihn. Nun hat man ihm den Hahn abgedreht. Doch am Ende triumphiert Mister Walker: Seit heute ist der lang ersehnte Regen aus nördlicher Richtung im Anmarsch.