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Archiv-Artikel

„Ich bin ein guter Italiener“

AM CHECKPOINT Weil Touristen keine türkische Küche mögen, hat der Türke Cemal Kurum an der Friedrichstraße Ecke Kochstraße ein italienisches Restaurant eröffnet, dem er einen englischen Namen gegeben hat: Tolerance. Der frühere linke Aktivist, der 1953 in Ankara geboren wurde, kennt die Ecke genau. Noch vor dem Mauerfall hat er dort die Bäckerei Lekkerbek gegründet. Doch die hielt der Konkurrenz der Ketten nun nicht mehr stand

Cemal Kurum

■ Herkunft: Cemal Kurum wurde 1953 in der Türkei geboren. Sein Vater war Textilhändler. 1971 kam er nach Berlin, um an der TU Berlin Landschaftsarchitektur zu studieren. Er war linker Aktivist.

■ Familie: Kurum war zweimal verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

■ Beruf: Nach dem Studium arbeitete er als Unternehmensberater und Restaurantbetreiber. 1988 gründete er die Bäckerei Lekkerbek, die er bis dieses Jahr mit seiner Schwester betrieb.

■ Lekkerbek: Der Name kommt, wie Kurums zweite Frau, aus Holland und bedeutet so viel wie Lekkerbissen.

■ Tolerance: Der Name des neuen Restaurants ist Programm: Keiner wird diskriminiert – es sei denn, er mag keine italienische Küche.

INTERVIEW UWE RADA FOTOS PIERO CHIUSSI

taz: Herr Kurum, wie groß ist Ihr italienischer Wortschatz?

Cemal Kurum: Na, so zwanzig, dreißig Wörter. Ich habe früher mal einen Italienischkurs an der Volkshochschule besucht.

Un Cappuccino, per favore.

Prego, Signor. Und Spagetti, Maccheroni, alles italienische Gerichte.

Neulich kamen Touristen in Ihrem Restaurant vorbei und meinten: Gut, dass das ein Italiener ist und kein Türke. Haben Sie sich da gefreut?

Ja, natürlich. Das war witzig. Die haben gesagt: Du bist ein guter Italiener.

Was ist das Gute an einem Italiener?

Die Küche natürlich. Nicht die Mafia, das sind die schlechten Italiener. Aber die Gäste meinten das eher im Sinne: Du bist ein richtiger Italiener.

Was hätten die Touristen gesagt, wenn sie gewusst hätten, dass Sie aus Ankara stammen?

Sie wären überrascht gewesen. Vielleicht hätten sie sich nichts anmerken lassen. Wenn wir gefragt werden, scherzen mein Kollege und ich: Unsere Großeltern waren Italiener. Stimmt natürlich nicht.

Sie verstecken Ihr Türkischsein?

Ja, klar.

Warum?

Touristen mögen italienische Küche, und zu der gehören die Italiener. Da wissen die Leute, woran sie sind. Da haben sie nicht so viele Fragen im Kopf. Wenn die wüssten, dass ich Türke bin, müsste ich ständig Fragen beantworten.

Sie haben Ihr Restaurant Tolerance genannt. Was bedeutet das für Sie?

Jeden Tag kommen hier am Checkpoint Charlie Touristen aus allen Ländern vorbei. Wenn die den Namen Tolerance sehen, sind sie überrascht, auch deshalb haben wir es so genannt. Viele fotografieren das dann. Manche kommen und fragen, warum es so heißt. Andere fragen, ob es auch jüdische Küche gibt. Gestern waren junge Leute aus den USA da, jüdische Amerikaner, die haben sich bedankt für den Namen. Auch, dass wir den Davidstern im Namenszug haben. Ich bin zwar nicht besonders religiös, aber hier kommen alle Religionen vorbei.

Wie tolerant sind die Deutschen?

Schwierig zu sagen. Aber wenn ich mit den Touristen aus den USA spreche, habe ich den Eindruck, dass die Deutschen weniger tolerant sind. Natürlich haben wir in der Familie über den Namen diskutiert. Einige waren auch dagegen, weil der Name nicht zu einem Restaurant gehört …

sondern eher zu einem Stadtteilzentrum.

Wir hätten ja auch einen italienischen Namen suchen können.

Kommen ab und an Gäste vorbei und fragen: Wo ist der Lekkerbek? Die Bäckerei, die hier lange das Leben an der Ecke geprägt hat?

Nicht mehr. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass es den Lekkerbek nicht mehr gibt.

Trauern Sie dem Lekkerbek manchmal etwas hinterher?

Natürlich. Es ist jetzt 23 Jahre her, dass ich den Laden gegründet habe.

Das war noch vor dem Fall der Mauer.

Ja, 1988 war das. Ohne den Lekkerbek hätte ich das alles gar nicht machen können. Vom Lekkerbek haben wir gelernt, und vom Lekkerbek haben wir auch gelebt. Da haben wir viel Zeit, viel Mühe, viel Liebe reingesteckt.

Woher kam denn die Idee, 1988 am Rande der Mauer ein Bäckereicafé zu eröffnen?

Vorher gab es hier Croissants. Eines Tages habe ich gesehen, dass der Laden leersteht. Das war die Chance. Sehr zentrale Lage.

Zentral? Zweihundert Meter weiter begann die Mauer!

Hier ist ein U-Bahnhof. Und das Konzept einer französischen Bäckerei war auch neu.

Haben Sie daran gedacht, dass die Mauer eines Tages fallen könnte?

Da habe ich nie daran gedacht. Nie. Wirklich nicht. Später habe ich mich gefragt, warum eigentlich nicht. Wir waren früher an der Uni Aktivisten. Wir haben viel demonstriert und protestiert. Gegen das Ausländergesetz. Oder gegen die Militärjunta in der Türkei. Aber auch die Regierung in der DDR mochte ich nicht.

Wie sah die Ecke Friedrichstraße/Kochstraße damals aus?

An der Ecke war eine Filiale der Deutschen Bank. Da haben die DDR-Bürger nach dem Fall der Mauer ihr Begrüßungsgeld abgeholt. Die Schlange reichte bis zum anderen Ende des U-Bahnhofs. Dann gab es da noch die Volkshochschule und das Goethe-Institut.

Haben Sie sich über den Fall der Mauer gefreut?

Ich habe mich gefreut, ja. Ich war mit der deutsch-deutschen Teilung nicht einverstanden, die fand ich immer blöd.

Viele Türken haben sich beklagt, dass sie nach dem 9. November Bürger zweiter Klasse geworden seien.

Die Arbeitslosigkeit stieg, das stimmt. Aber viele Türken haben im Osten Business gemacht. Das ist auch eine Wahrheit.

Hat sich der Mauerfall auch beim Umsatz des Lekkerbek bemerkbar gemacht?

Natürlich. Enorm. Er ist enorm gestiegen.

Da wurde aus dem linken Cemal Kurum plötzlich ein reicher Kapitalist.

Das war eher ein Experiment. Ich habe am Tauentzien dann ein Restaurant aufgemacht. Das lief drei Jahre. Und am Prenzlauer Berg haben wir in der Greifswalder Straße das Al Dente aufgemacht. Mal haben wir richtig investiert, mal falsch.

Wenn Sie die 23 Jahre Mauerfall Revue passieren lassen: Was hat sich an der Ecke hier geändert?

Ich hätte nie gedacht, dass es einmal eine reiche und eine arme Friedrichstraße geben würde. Auch heute weiß ich noch nicht, in welche Richtung sich die südliche Friedrichstraße entwickeln wird: Es gibt zwar ein Hotel und ein Biobistro, es gibt aber auch drei Casinos und Leerstand.

Die Touristen machen an der Kochstraße und der Dutschkestraße nicht mehr Halt. Sie erkunden auch die südliche Friedrichstraße.

Einige gehen natürlich weiter bis zum Jüdischen Museum. Aber das sind nicht sehr viele. Ich hoffe, dass es mehr werden.

Weil wir vorhin über ein Stadtteilzentrum sprachen: Der Lekkerbek hatte für die arme Bevölkerung der südlichen Friedrichstraße eine Bedeutung. Es war ein Treffpunkt. Viele haben hier eine Tasse Filterkaffee getrunken und ein Brötchen gegessen. Diese Leute sind nun weg.

Ja, das stimmt. Aber es ging eben nicht mehr. Als Kamps und die Backfactory kamen, konnten wir nicht mehr mithalten. Die haben unser Brötchen- und Kaffeegeschäft kaputt gemacht. Das Stammpublikum ist weniger geworden, das Geschäft mit den Touristen ist gewachsen.

Vor Kamps war an der gegenüberliegenden Ecke ein argentinisches Steakhaus. Der Besitzer stand in Sandalen und Socken auf dem Bürgersteig und versuchte, Gäste in sein Restaurant zu locken. Seine Söhne verkauften um die Ecke Minipizza. Dass es das Steakhouse nicht mehr gibt, ist nicht gerade ein Verlust.

Na ja, ich kenne den Mann. Er war natürlich kein Argentinier, sondern ein türkischer Christ, der aus der Gegend nahe der syrischen Grenze stammt. Er hat sich hier eine Existenz aufgebaut, die Kinder haben ihm geholfen. Wir waren befreundet, unsere Kinder auch. Das Nachbarschaftliche ist hier an der Ecke etwas verloren gegangen.

Im Lekkerbek waren immer Frauen aus dem Kiez beschäftigt. Die haben Sie entlassen müssen.

Ganz am Anfang haben alte Frauen aus der Nachbarschaft hier gearbeitet. Mit dem Umsatzrückgang sind es immer weniger geworden. Dann haben sie nicht mehr acht, sondern nur noch sechs Stunden gearbeitet. Aber das waren Bäckereifrauen, keine Restaurantfrauen. Viele arbeiten nun bei anderen Bäckern.

Sie sind 1953 in Ankara geboren. Wann sind Sie nach Berlin gekommen?

1971, da war ich achtzehn. Ich habe an der TU angefangen, Landschaftsplanung zu studieren. Damals war ich einer von nur ganz wenigen Ausländern. Das hat einen Riesenspaß gemacht.

Es war auch eine wilde Zeit.

Das stimmt, eine aktive Zeit. Demonstrationen, Streiks. Manchmal habe ich ein ganzes Semester lang keinen Hörsaal besucht.

Heute bestimmt weniger die Politik als vielmehr die Religion den Alltag vieler Migranten.

Damals war das auch schon so, nur war das nicht so sichtbar. Auch damals gab es viele Aktivitäten rund um die Moscheen. Da sind wir als Linke nicht dagegen angekommen.

Aber die Religion hat an Bedeutung gewonnen.

„Ich hätte nie gedacht, dass es irgendwann mal eine arme und eine reiche Friedrichstraße geben würde“

Da spielt natürlich auch die Entwicklung in der Türkei eine Rolle. Außerdem gibt die Religion Muslimen Halt, das gilt auch für weniger Religiöse wie mich. Religion bedeutet Zufriedenheit über das, was man hat. Was uns Gott gegeben hat. Dankbar sein ist das A und O. Bevor ich einschlafe, danke ich für meine Gesundheit, für die meiner Familie, meiner Freunde. Aber das ist auch bei anderen Religionen so.

Sind Sie viel in der Welt herumgekommen?

Nein, noch nicht.

Sicher schwärmen Ihre Gäste Ihnen immer vor, wie schön es im eigenen Land sei. Was wollen Sie unbedingt noch sehen?

Die chinesische Mauer. Das ist ein alter Traum von mir. Und die Niagarafälle. Und Sibirien. Und natürlich die Türkei. Da habe ich viele Ecken noch nicht gesehen.

Alles Landschaften, keine Städte.

Immer die Landschaft. Ich habe auch ein Stück Land und einen Bauernhof an der türkischen Ägäisküste. Später, mit der Rente, werde ich auf dem Bauernhof leben.

Warum wollen Sie zurück?

Ich brauche den Trubel nicht. Mein Bruder betreibt auf der Reeperbahn in Hamburg ein Lokal. Der mag den Trubel. Ich möchte auf den Bauernhof, zu den Olivenbäumen, zum Meer.

Ihre Kinder aber werden in Deutschland bleiben.

Wenn Sie mit dem Studium fertig sind, müssen sie erst mal ins Berufsleben einsteigen. Aber sie haben gute Chancen. Zwei sprechen Holländisch, weil ihre Mutter Holländerin ist. Eine hat ein Jahr in Norwegen studiert und spricht Norwegisch. Englisch sprechen sie alle. Nur mit dem Türkischen hapert es.

Haben Sie als Vater zu wenig Türkisch mit ihnen gesprochen?

Vielleicht. Jetzt rede ich nur noch türkisch mit ihnen.

Aber hoffentlich nicht im Restaurant, wenn die Touristen zuhören. Apropos – haben Sie manchmal schon gedacht: Scheiß Touristen!

Nie. Das würde bedeuten, zu bereuen, dass so viele Touristen kommen. Berlin ist jetzt nach London und Paris die Nummer drei in Europa. Ich freue mich darüber. Und da ist noch viel Luft nach oben. Es ist doch lustig, wenn die Leute auf dem Bierbike sitzen, dabei Bier trinken und grölen. Saufen und Fahrrad fahren. Darauf muss man erst mal kommen.

Was wünschen Sie Ihrer Ecke an der Friedrichstraße und der Kochstraße für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die untere Friedrichstraße noch attraktiver wird. Dass mehr Läden aufmachen und damit auch mehr Menschen kommen.

Und was ist Ihr Lieblingsessen in der italienischen Küche?

Nach wie vor Spaghetti, aglio e olio am liebsten. Oder ganz klassisch Napoli.

Grazie per la conversazione.

Prego, Signor.