berliner szenen: Mehr Stofftiere als Gummis
Es ist Morgen. Zum Glück ist mein Arzttermin nachher bestätigt worden. Ich sitze am Tisch, um nach der Anleitung eines japanischen Origami-Meisters eine Maske zu falten, und benutze dafür ein frisch gewaschenes altes Stofftaschentuch, das früher meinen Eltern gehörte.
Um die Maske zu befestigen, nehme ich Haargummis – normale Gummibänder suche ich seit Wochen vergeblich. Ich denke beim Falten an die Gummibandsammlung meines kleinen Bruders, die er angelegt hatte, als er acht oder neun war. Immer, wenn er draußen gewesen war, hatte er Gummibänder mitgebracht, die er auf dem Schulweg gefunden hatte. Nach Größe geordnet hingen sie in seinem Kinderzimmer. Wie mein kleiner Bruder damals hatte ich in letzter Zeit dauernd auf den Boden geguckt, aber nur unbrauchbare Gummibänder gefunden. Dafür gibt es ausgesetzte Stofftiere und Bücher ohne Ende. Vor der Bierkneipe Logo liegt ein historischer Roman mit dem Titel „Die Schandmaske“.
Die U1 ist eher leer, alle tragen Masken und sitzen weitmöglichst voneinander entfernt. Kurz vor der Praxis bewacht ein junger Polizist ein Haus und verwehrt einem Mann den Zugang. In Indonesien sind 160.000 Soldaten auf der Straße, um Reisen zu verhindern.
Im Warteraum der Praxis sind weniger als die Hälfte maskiert. Der Arzt verschreibt mir ein CT und erzählt, dass von den fünftausend Patienten seiner Praxis bis jetzt noch keiner an Corvid-19 erkrankt sei.
Die Stimmung auf dem sonnigen Ku’damm ist seltsam; auf den ersten Blick nur scheint alles normal zu sein. Dass fast alle im Edeka eine Maske tragen, gefällt mir gut – ich freue mich später darüber, dass unter denen, die heute keine Maske tragen, einige asiatische Leute sind, die so den kulturellen Zuschreibungen zu widersprechen scheinen. Detlef Kuhlbrodt
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