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Archiv-Artikel

jammernde pommy-bastarde von RALF SOTSCHECK

Eingeborene sind undankbar. Da bringt man ihnen Sport und Kultur bei, und dann besiegen sie einen nicht nur in der ureigensten Sportart, sondern machen sich auch noch lustig über einen. Die Engländer haben vor gut einer Woche das fünftägige Cricket-Testmatch gegen ihre ehemalige Kolonie Australien haushoch verloren, was das Mutterland dieser ulkigen Sportart in eine tiefe Depression stürzte – zumal die Australier mit Hohn nicht sparten. Der englische Independent reagierte etwas lahm, indem er den Bericht über das Match auf dem Kopf stehend abdruckte, damit ihn die Australier lesen können.

Cricket ist die englischste aller Sportarten, deren Regeln für Außenstehende schwer durchschaubar sind. Es dauerte Jahre, bis sich mein Freund John aus London dazu herabließ, mir die Grundzüge des Spiels beizubringen. Er hatte geglaubt, ich wolle mich über ihn lustig machen. „Jedes Kind kennt Cricket“, sagte er, fügte aber wenigstens hinzu, dass der Ballwerfer versuche, die drei Stöckchen zu treffen, die in den Boden gerammt sind, und dass der Schlagmann, der vor den Stöckchen steht, dies verhindern wolle.

Dass die Spieler fluchtartig das Feld verlassen, wenn der erste Regentropfen fällt, war mir schon früher aufgefallen. Doch nun liefen sie weg, obwohl kein Wölkchen am Himmel war. „Sie machen eine Teepause“, erklärte John und rollte mit den Augen, als ich bemerkte, dass man das ja aus „Asterix bei den Engländern“ kenne. John meinte wütend, dass Norman Tebbit recht hatte: Der Rottweiler der damaligen Tory-Premierministerin Margaret Thatcher wollte einen Cricket-Test für Einwanderer einführen. Wer das groteske Spiel unter Männern in weißen Schlafanzügen nicht kapierte, sollte flugs nach Hause geschickt werden.

Der Cricket-Streit zwischen Engländern und Australiern geht auf die Jahre 1932 und 1933 zurück. Die Engländer, entnervt über die ständigen Niederlagen gegen die Kolonie, wandten damals eine neue Taktik an: Die Werfer zielten gar nicht erst auf die Stöckchen, sondern auf den Schlagmann, der sich nur durch einen beherzten Sprung in Sicherheit bringen konnte. Die Engländer gewannen die Testmatches, aber die Australier konstatierten, dass es gar nicht Cricket war, was die „Pommy bastards“ gespielt hatten. Dieses Schimpfwort kommt von der Abkürzung POME: „Prisoners of Mother England.“ Das hatten die Sträflinge, die im 18. Jahrhundert von England nach Australien verbannt wurden – auf ihre Hemden gestickt. Einer anderen Erklärung nach kommt der unfreundliche Ausdruck von „Pomegranate“, dem Granatapfel, denn Engländer nehmen unverzüglich die Farbe dieser Frucht an, sobald sie sich länger als 10 Minuten der Sonne aussetzen.

Von allen ethnischen Minderheiten in New South Wales haben sich die Engländer im vorigen Jahr am häufigsten über diese rassistische Beleidigung beschwert. Die australische Presse reagierte mit Verachtung: Sie beschuldigte die Engländer, jammernde Pommy-Bastarde zu sein, weil sie sich darüber beschwerten, als jammernde Pommy-Bastarde bezeichnet zu werden. Für den weiteren Austausch von Gemeinheiten ist gesorgt. Gestern begann das zweite Testmatch in Edgbaston.