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Archiv-Artikel

Viele Hotlines, wenig Geflüster

Bisher werden vertrauliche Telefone für Hinweise über die islamistische Szene vor allem von Wichtigtuern und Denunzianten genutzt. Trotzdem bauen mehrere Bundesländer die Hotlines für mitteilungswillige Muslime aus – nach dem Prinzip Hoffnung

VON ASTRID GEISLER

Bayerns Innenminister Günther Beckstein dürfte die elf Ziffern inzwischen auswendig kennen, so oft hat er sie schon aufgesagt: 0 89-31 20 14 80. Bei jeder Gelegenheit appelliert der CSU-Politiker an die Muslime im Freistaat, diese Nummer anzurufen – falls sie Verdächtiges in ihrem Umfeld beobachten. Die „dringenden“ Bitten aus München kommen nicht von ungefähr.

Wer die Münchner Nummer wählt, erreicht eine Hotline, die der bayerische Verfassungsschutz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet hat. Seit nunmehr dreieinhalb Jahren warten Fachleute in den Büros des Verfassungsschutzes auf brisantes Geflüster aus der islamistischen Szene.

Die Bilanz ist, vorsichtig formuliert, mager: Obwohl die Anrufer ihre Mitteilungen anonym und zudem in verschiedenen Sprachen loswerden können, habe man bisher „praktisch keine“ Anrufe aus der muslimischen Bevölkerung erhalten, sagte ein Verfassungsschutzsprecher der taz. Ein relevanter Hinweis sei schon gleich gar nicht eingegangen. Ein „bedauerliches“ Ergebnis, resümiert das Innenministerium.

Trotzdem bauen auch andere Länder vergleichbare Angebote aus. Zum Beispiel Berlin: Seit knapp einer Woche hat der Verfassungsschutz in der Hauptstadt mehrere Telefonnummern geschaltet, wo Anrufer Informationen zur islamistischen Szene auf Deutsch, Türkisch oder Arabisch weitergeben können.

Bisher gab es beim Berliner Verfassungsschutz nur ein Kontakttelefon für Hinweise aller Art – die zuständigen Beamten sprachen weder Türkisch noch Arabisch. Doch seien nach dem 11. September bereits einige „wertvolle Hinweise“ eingegangen, versicherte die Berliner Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid der taz. Sie hofft nun, mit dem neuen arabisch- und türkischsprachigen Zusatzangebot die Hemmschwelle in der Zielgruppe weiter zu senken.

Nordrhein-Westfalen wiederum will noch im August eine spezielle Internetseite auf Arabisch und Türkisch freischalten. Ein solches Dialogangebot sei weniger aufwändig als eine Telefonhotline, so eine Sprecherin des Düsseldorfer Innenministeriums – und praktikabler.

Die Erwartungen sind groß: In Berlin hofft man, den Nachwuchsrekrutierern auf die Spur zu kommen. In Bayern träumen die Geheimen davon, eines Tages doch den ersten islamistischen Aussteiger in der Leitung zu haben. Oder wenigstens Tipps zu bekommen, in welcher Moschee dubiose Traktate verteilt oder Videos gehandelt werden.

In der Realität sind die Behörden davon indes noch weit entfernt. Statt seriöser Informanten haben die Verfassungsschützer bisher vor allem notorische Querulanten, Denunzianten und Wichtigtuer an der Strippe. Auch sie grübeln, warum quasi nichts aus den muslimischen Communities kommt.

Beim bayerischen Verfassungsschutz gibt es zwei Hypothesen. Erstens: Gerade jene Muslime, die zur Zusammenarbeit mit den deutschen Sicherheitsbehörden bereit wären, bekämen selbst gar nichts von brisanten Entwicklungen mit – weil auch in vielen extremistisch ausgerichteten Moscheen nur noch verklausuliert oder in Hinterzimmern gegen den Westen gehetzt wird. Wer hingegen zu den wenigen Mitwissern zähle, würde sich keiner Sicherheitsbehörde offenbaren. Zweitens: Gerade in türkischen und arabischen Gemeinden seien Vorbehalte gegen Nachrichtendienste weit verbreitet. Daher komme für viele Muslime ein Anruf beim Verfassungsschutz nicht in Frage.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat deshalb entschieden, kein neues Kontakttelefon einzurichten: „Diese Hotlines führen nicht wirklich weiter“, so eine Sprecherin. Auch das niedersächsische Scientology-Kontakttelefon habe fast nur Denunzianten begeistert. Und: Wer wirklich etwas mitteilen wolle, finde im Telefonbuch die Nummern von Polizei und Verfassungsschutz.

Bei aller Ernüchterung – diese Ansicht teilen die Bayern nicht. Schließlich seien gerade die jüngsten Appelle von Spitzenvertretern muslimischer Organisationen, mehr mit Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, ein ermutigendes Signal, sagt der Verfassungsschutzsprecher: „Wir hoffen, dass da jetzt Bewegung in die Szene kommt.“