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Die USA räumen Nobelpreise abDie zelleigene Fabrik für Proteine

MEDIZIN, PHYSIK UND CHEMIE Beim Länderranking haben die Vereinigten Staaten wieder einmal die Nase vorn. Von den neun Nobelpreis- trägerInnen 2009 in den naturwissenschaftlichen Sparten sind acht BürgerInnen der USA. Vier davon haben noch eine zweite Staatsbürgerschaft: Venkatraman Ramakrishnan ist auch Inder, Elizabeth H. Blackburn Australierin, der in Schanghai geborene Charles Kuen Kao Brite und Willard Sterling Boyle ist auch noch kanadischer Staatsbürger

Diese „befreiten“ Elektronen sammeln sich in Fotozellen und werden dort elektrisch ausgelesen

Auch in Hamburg war der Jubel groß, als die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm die Nobelpreisträger für Chemie bekannt gab. Eine der drei PreisträgerInnen, die Israelin Ada E. Yonath (70 J.), hat rund 18 Jahre am Max-Planck-Institut (MPI) für strukturelle Molekularbiologie in Hamburg geforscht. „Sie hat rund um die Uhr gearbeitet und oft auch im Labor geschlafen, während der Experimente“, erinnert sich Frank Schlünzen vom MPI.

Ausgezeichnet wurde Yonath, die 1989 am Weizmann Institute in Rehovot, Israel, ihre erste Direktorenstelle in der Molekularbiologie antrat, zusammen mit dem US-Forscher Thomas Steitz (69 J.) von der Yale University, und Venkatraman Ramakrishnan (57 J.) vom britischen Medical Research Council in Cambridge. Ramakrishnan ist US-Bürger, hat aber auch die indische Staatsangehörigkeit.

Alle drei frisch gekürten NobelpreisträgerInnen haben sich mit einem winzigen, aber lebensnotwendigen Bestandteil von Körperzellen beschäftigt, den Ribosomen. Diese Zellorganellen, die auch als „zelleigene Eiweißfabrik“ bezeichnet werden, sind maßgeblich daran beteiligt, dass die Erbinformation umgesetzt wird in Proteine (Eiweiße). Strukturproteine wie das Kreatin der Haare oder Enzyme wie Insulin, sie alle werden von den Ribosomen aus den Proteinbausteinen, unterschiedlichen Aminosäuren zusammengesetzt. Dabei geben immer drei Einheiten der Erbinformation an, welche Aminosäure als nächste von den Ribosomen an die wachsende „Proteinkette“ angeknüpft wird.

Den drei Nobelpreisträgern ist es zu verdanken, dass heute bekannt ist, wie Ribosomen aufgebaut sind und wie sie es schaffen, mit einer extrem geringen Fehlerquote die Proteine zusammenzubauen.

Ada Yonath arbeitete schon seit den 1960er-Jahren mit Ribosomen. Damals war nur wenig über die Zellorganellen bekannt. In jahrzehntelanger Arbeit gelang es Yonath, mittels Röntgenstrukturanalysen Licht in den komplexen Aufbau der Ribosomen zu bringen. Ihre beiden Kollegen Ramakrishnan und Steitz, die sich erst später mit den Ribosomen beschäftigten, waren ihre Konkurrenz. Fast hätte sie auch den Wettlauf verloren. Unabhängig voneinander und fast zur gleichen Zeit veröffentlichten die drei Forscher im Jahr 2000 Röntgenbeugungsbilder, aus denen sogar der atomare Aufbau der Ribosmen geschlossen werden konnte.

Für das Nobelpreiskomitee gehören die diesjährigen Chemieauszeichnungen zu einer Reihe von Nobelpreisen, die zur Aufklärung eines biologischen Dogmas beigetragen haben: Die Erbinformation der DNA wird abgelesen und in RNA umgesetzt. Diese RNA ist der Bote, der die Erbinformation zu den Ribosomen bringt, wo die Proteine synthetisiert werden.

1962 bekamen James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins den Medizinerpreis für die Aufklärung der DNA-Helix, 2006 erhielt Roger Kornberg den Chemiepreis für seine Arbeiten über DNA-Polymerase. Dieses Enzym liest die DNA ab und setzt die Boten-RNA zusammen. Und dieses Jahr werden Forscher ausgezeichnet, die gezeigt haben, wie die Boten-RNA in Proteine umgesetzt wird. WOLFGANG LÖHR

Ein Preis für drei „Meister des Lichts“

Als „die Meister des Lichts“ charakterisiert die schwedische Wissenschaftsakademie selbst ihre diesjährigen Physiknobelpreisträger. Bei ihrer Auswahl setzte man in Stockholm auf den Trend der vergangenen Jahre und ehrt wieder Wissenschaftler, deren Forschungen große Bedeutung für unser Alltagsleben bekommen haben. Die Preisträger dieses Jahres entwickelten die Grundlagen für die fiberoptischen Kabel, ohne die es unmöglich wäre, die riesigen Datenmengen im Internet zu übertragen. Und für die CCD-Sensoren, die ein Herzstück der Digitalkameratechnik sind.

Mit Glasfaserkabeln, durch die man mithilfe extrem schnell blinkenden Laserlichts Daten übertragen konnte, hatte man seit den Sechzigerjahren experimentiert. Doch waren diese Kabel länger als 20 Meter, funktionierte das Ganze nicht mehr – es wurde zu viel Licht absorbiert und gestreut.

Charles Kuen Kao, 1933 in Schanghai geboren und als junger Ingenieur zur britischen Telefongesellschaft Standard Telephones and Cables gekommen, entwickelte 1966 das Design und Material – haarfeines und ultrareines Fiberglas – , das solche optischen Leiter haben musste, um große Datenmengen schnell und über sehr weite Entfernungen übertragen zu können.

1970 wurde das erste „Low-loss Fiber“ mit einer damals sensationellen Spezifikation produziert: Nach 1 Kilometer kam noch 1 Prozent des Lichts am anderen Ende des Kabels an. Bei jetzt gängigen Fiberkabeln nähert sich nun umgekehrt der Lichtverlust 1 Prozent pro Kilometer.

Kürzlich war es Forschern an den Bell Laboratories in den USA gelungen, eine Datenmenge, die dem Inhalt von 400 DVDs entsprach, in einer Sekunde durch ein 7.000 km langes Glasfaserkabel zu übertragen.

Apropos Bell-Laboratories: Hier wurde 1969 auch die andere Erfindung gemacht, die in diesem Jahr für nobelpreiswürdig angesehen wurde. Sie ist eine Voraussetzung für die Produktion der Masse an Foto- und Filmmaterial, mit denen man die fiberoptischen Datenautobahnen nun so richtig füllen kann.

Eigentlich wollten Willard Sterling Boyle (85 Jahre) und George Elwood Smith (79 Jahre), die sich die zweite Hälfte des auf knapp 1 Million Euro dotierten Physikpreises mit Kuen Kao teilen, etwas ganz anderes entwickeln: ein Datenspeichermedium, das auf dem Prinzip des fotoelektrischen Effekts – Licht wird in elektrische Ladungen umgewandelt – gründen sollte. Für dessen theoretische Erklärung war Albert Einstein schon im Jahr 1921 mit dem Nobelpreis geehrt worden.

„Charge-coupled Device“ (CCD, „ladungsgekoppelte Teilchen“) eignete sich nicht wie gehofft zum Datenspeichern. Doch Boyl und Smith hatten die Idee für eine andere Anwendungsmöglichkeit: eine elektronische Kamera, die die Bilder mithilfe der CCD-Methode zerlegt und speichert. Auf einen etwa briefmarkengroßen Sensor mit winzigen Silizium-Halbleitern trifft das optische Bild als Licht auf und schlägt dort – je mehr Licht, desto mehr – Elektronen heraus.

Diese „befreiten“ Elektronen sammeln sich in Fotozellen und werden dort elektrisch ausgelesen. Optische Bilder werden zu elektrischen Signalen, zu digitalen Einsern und Nullen – das bisher genutzte Filmmaterial ist jetzt überflüssig.

1970 hatte Boyls Forschergruppe den Prototyp einer ersten CCD-Videokamera für Schwarzweißaufnahmen entwickelt. Zunächst nutzte vor allem das Militär die Technik für ihre Spionagesatelliten, später professionelle Astronomen für ihre Teleskope. 1974 kam der erste kommerzielle Bildchip mit einer Auflösung von 10.000 Pixel (Bildpunkten) auf den Markt.

Chips mit mehreren Millionen Pixel stecken nun in jeder Handykamera. Und das im März gestartete Kepler-Weltraumteleskop soll mithilfe einer Kamera, die CCD-Sensoren von zusammen 95 Megapixel hat, nach extrasolaren Planeten suchen.

Kritik könnte es geben, weil die Wissenschaftsakademie zwar die CCD-Technik belohnt, aber nicht die schon einige Jahre vorher von Frank Wanlass entwickelte CMOS-Technik, die ebenfalls auf den fotoelektrischen Effekt gründet. Sie hat den Vorteil geringeren Stromverbrauchs und höherer Bildraten und wird von vielen professionellen Fotografen mittlerweile CCD vorgezogen. REINHARD WOLFF

Den alternden Körperzellen auf der Spur

Für immer jung – diese Vision beschäftigt nicht nur Autoren von Romanen und Popsongs, sondern auch Wissenschaftler. Der diesjährige Nobelpreis für Medizin ging an zwei Forscherinnen und einen Forscher, die sich mit der genetischen Alterung von menschlichen Zellen auseinandersetzten. Elisabeth Blackburn (60) von der University of California in San Francisco, Carol Greider (48) von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore und Jack Szostak (56) vom Massachusetts General Hospital in Boston haben sich mit wichtigen Teilen des Erbgutes beschäftigt, den sogenannten Telomeren.

Diese befinden sich an den Enden der Chromosomen, den 46 Abschnitten des menschlichen Erbguts, die die Bauanleitung für neue Zellen im Körper darstellen. Die Telomeren, so fanden die drei PreisträgerInnen bereits in den 1980er-Jahren heraus, verhindern ähnlich wie bei den Verhärtungen an den Enden eines Schnürsenkels, dass das Erbgut bei der immer wieder stattfindenden Zellteilung ausfranst. Bei jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere und sind so für den Alterungsprozess verantwortlich.

Die damals erst 23-jährige Carol Greider entdeckte ein Enzym, dass die abgenutzten Telomere wieder verlängert und so die Zelle vor dem Altern schützt, die Telomerase. Ist zu wenig dieses Enzyms vorhanden, altern Menschen schneller. Umgekehrt verlängert sich die Lebensdauer, wenn die Telomerasen besonders aktiv sind. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass mit Telomerase ewiges Leben zu garantieren ist. Bei Krebszellen nutzen sich die Telomere nicht ab. So können sich diese schädlichen Zellen fast endlos teilen.

Nach den Entdeckungen von Blackburn, Greider und Hopkins fragten sich andere Forscher, ob man mit bestimmten Medikamenten diese Enzyme blockieren und so ein unkontrolliertes Zellwachstum verhindern kann. Dies würde einen Durchbruch bei der Krebstherapie bedeuten. Bei einigen erblichen Krankheiten hingegen wird vermutet, dass ein Enzym-Defekt für die Schädigung der Gene verantwortlich ist. So wird der Schlüssel der Behandlung sowohl von Krebs wie auch von vererbbaren Krankheiten in der Erforschung der Telomere gesucht.

Fraglich ist noch, wann konkrete Behandlungsformen entwickelt werden können. „Die Entdeckung wird sehr, sehr viele Konsequenzen für die Medizin haben“, sagte Nils-Göran Larsson, Mitglied der Nobelversammlung und Professor am Karolinska Institut. „Aber wann, das kann man nicht sagen. Bei ähnlichen Nobelpreisen früher sind 30 Jahre vergangen.“

Ähnlich sieht das Lenhard Rudolph, der die Max-Planck-Forschungsgruppe für Stammzellalterung der Uni Ulm leitet. Noch sei es zu früh für die Anwendung von Telomerase-Medikamenten. Aber auch Rudolph ist überzeugt, dass Telomerase die Regenerationsfähigkeit von Geweben verbessern kann.

So könne solch eine Therapie die Blutbildung fördern. Viele Menschen entwickeln gerade im Alter eine Blutarmut. Auch Lymphozyten , Abwehrzellen des Körpers, würden im Alter schwächer. Diese könnten durch so etwas wie eine Telomerase-Therapie gestärkt werden, hofft der Wissenschaftler aus Ulm.

Es gibt aber auch kritische Einwände zu diesen Vorstellungen. Nicht nur grüne Biotechnik-Kritiker sind skeptisch, wenn am Erbgut des Menschen gebastelt wird. Im Jahr 2004 wurde Elisabeth Blackburn aus dem Bioethik-Rat des damaligen US-Präsidenten George W. Bush geworfen, weil sie dessen restriktive Haltung zur Forschung an embryonalen Stammzellen kritisiert hatte.

Ein anderer Umstand ist erfreulicher: Zum ersten Mal sind gleich zwei Frauen unter den Gewinnern des Medizin-Nobelpreises. Unter den insgesamt 195 Preisträgern der nun hundert Preisvergaben sind mit Elisabeth Blackburn und Carol Greider erst zehn Frauen. Und mit noch einer Besonderheit kann die jüngste der aktuellen Preisträgerinnen aufwarten. Carol Greider ist bekennende Legasthenikerin. LUTZ DEBUS

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