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Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Der Satz ist natürlich eine Lüge: „Niemand stirbt in der Mitte seines Lebens“. Denn wie oft schließlich sind Menschen sogar schon vor der Mitte ihres Lebens gestorben. Gefühlt. Wenn man aber genauer schaut und bedenkt, dass der Tod schließlich immer das Ende des Lebens bedeutet, ist diese Mitte natürlich schon immer längst überschritten, wenn ein Mensch stirbt. Die Mitte des Lebens lag dann nur an einem Zeitpunkt, den wir als Mitte vielleicht nicht so einfach akzeptieren. Wir, die wir so lange wie möglich leben wollen. Achtzig, neunzig Jahre vielleicht. Doch die Mitte eines, der mit 46 stirbt zum Beispiel, war dann eben mit seinem 23. Lebensjahr schon erreicht. Was also tun wir mit dem Wissen, dass wir sterben müssen, ohne zu wissen, wann? Diesen Fragen geht der neue Abend der Per­former*innen des Musik­theater-Kollektivs „Nico and the Navigators“ am 25. Juli im Radialsystem nach.

Die Gruppe um die Theater­macher*innen Nicola Hümpel und Oliver Proske setzt damit ihre Arbeit an dem Format „Szenisches Konzert“ fort, das in den vergangenen Jahren schon oft Musik mit Bildern konfrontierte, die sie jeweils evoziert. Jetzt also mit Bildern, mit denen der Tod in unser Leben reicht, Ritualen und Tänzen. Und Musik unter anderem von Johann Sebastian Bach, Leonard Cohen, Rufus Wainwright und György Ligeti (Radialsystem: „Niemand stirbt in der Mitte seines Lebens“, 25.–27. 7., jeweils 20 Uhr).

Von der Vergänglichkeit aller Dinge und Ereignisse, von ihrem Versinken im Vergessen, handelt das Gedicht „Abenddämmerung“ von Heinrich Heine. Darin sitzt ein nicht näher bestimmtes Ich am Strand, während über dem Meer am Horizont die Sonne untergeht und meint, aus dem Plätschern der Wellen Stimmen und Geräusche längst vergangener Momente seines oder ihres Lebens aufsteigen zu hören. Dieses Gedicht aus dem Jahr 1827 hat nun ein interdisziplinäres Team um die japanischen Tänzer*innen und Choreograf*innen Yuko Ishihara, Yuya Yoshizaki und Seima Numata zu dem Tanztheaterabend „Land des Nebels“ inspiriert, der am 27. Juli auf der Werkstattbühne des Theaterhauses Mitte herauskommt (27. 7., 20 Uhr, 28. 7., 15 Uhr).

Sehr diesseitig und trotzdem überirdisch ist die Diseuse Georgette Dee, die am 27. Juli in der „Bar jeder Vernunft“ im Rahmen des 5. Frauensommers ihren Chanson­abend „Nachtgesänge – From Dusk Till Dawn“ präsentiert, und zwar eigenem Bekunden zufolge „seufzend, sehnsuchtsvoll, verzückt und verwirrt“ (Bar jeder Vernunft: „Nachtgesänge – From Dusk Till Dawn“, 27. 7., 20 Uhr).

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