Millionen für den Nikolaus

DEALS Jahrelang suchte der Energieanbieter EnBW einen direkten Zugang zu russischem Gas. Vergeblich. Dann lernten die Manager einen Lobbyisten kennen, Andrey Bykov. Er steckte das Geld der Stromkunden in Kirchen

■ 1991: Erstmals nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entsteht eine Kooperation zwischen Deutschen (BASF) und Russen (Gazprom) im Gasgeschäft.

■ 1993: Bykov tritt über einen Mittelmann in Kontakt mit der EnBW.

■ 1998: Bykov entwickelt sein christliches Lobbyingmodell für die EnBW. Rot-Grün gewinnt die Bundestagswahl.

■ 2000: Baden-Württemberg verkauft seine EnBW-Anteile an EDF.

■ 2001: Bykov baut die Stiftung für den Heiligen Nikolaus auf.

■ 2002: Bykov ermöglicht der EnBW Zugang zum Gasfeld Kharampur. Doch die Verhandlungen scheitern.

■ 2004: Die Konzernrevision der EnBW prüft die Russlandgeschäfte und stellt in einem vertraulichen Bericht fest, dass es „an keiner Stelle im Konzern Transparenz über die gesamten Geschäftsbeziehungen“ zu Bykov gebe.

■ 2009: Die EnBW strengt vier Schiedsgerichtsverfahren gegen Bykov an, EnBW fordert 119 Millionen Euro.

■ 2010: EDF verkauft seine Anteile an Baden-Württemberg zurück – zu deutlich überhöhtem Preis.

■ 2012: Die Staatsanwaltschaft Mannheim leitet gegen Manager der EnBW Ermittlungen ein.

AUS BERLIN UND MOSKAU INGO ARZT, KLAUS-HELGE DONATH UND KAI SCHLIETER

Wenn sich ein Mann wie Andrey Bykov in die Öffentlichkeit traut, riskiert er seinen Ruf. Lobbyisten wie er bleiben im Hintergrund, sie reden nicht über ihre Partner. Die Öffentlichkeit erfährt nur indirekt von ihrer Arbeit, wenn sie erfolgreich war. Dann heißt es in den Nachrichten, dass große Konzerne gemeinsam Milliarden investieren, um ein Erdgasfeld zu erschließen oder eine Pipeline zu bauen. Es sind Männer wie Andrey Bykov, die solche Deals einfädeln. Er war so etwas wie die Ein-Mann-Russland-Abteilung der Energie Baden-Württemberg (EnBW), dem drittgrößten Stromversorger in Deutschland.

Sie trauten ihm viel zu. Doch dass er irgendwann einmal aus dem Hintergrund hervortreten und auf das wichtigste Prinzip seines Geschäftsmodells pfeifen würde – die Diskretion – das hatte wohl niemand bei EnBW erwartet. Plötzlich redet Bykov.

Ein schwül-heißer Tag, in Moskau erschwert der Smog das Atmen. 20 Kilometer außerhalb der Hauptstadt gibt es Seen und Wälder. Auf den Parkplatz einer seelenlosen Einkaufs-Mall rollt ein schwarzer VW Phaeton. Heraus steigt Andrey Bykov, er ist ohne Chauffeur gekommen. Bykov trägt eine schlichte Jeans, in die er ein Hemd gesteckt hat, eine Aktentasche aus braunem Leder, das Haar ist zur Seite gescheitelt. Sein Gesicht ist blass, fast bubenhaft. Er sieht nicht aus wie ein vielfacher Millionär in einem Land, in dem die Reichen gerne protzen.

Er und EnBW bekämpfen sich nun schon seit über zwei Jahren, seit sechs Monaten auch in der Öffentlichkeit. Beide streuen ihre Geschichten, längst ist es auch eine PR-Schlacht. EnBW fordert 119 Millionen Euro von Bykov, weil er vier Verträge nicht erfüllt haben soll. Ursprünglich hatten sich beide auf Diskretion verständigt und wollten Schiedsgerichte über ihre Streitigkeiten urteilen lassen. Private, nicht staatliche Gerichte also, die unter vollkommener Verschwiegenheit urteilen.

Bykov ist plötzlich der dubiose Russe, ein Lügner

Befasst sind Institutionen in Berlin, im Schweizer Zug und in Stockholm. Von den bisherigen zwei Auseinandersetzungen hat Bykov eine zur Hälfte verloren – und soll 24,5 Millionen Euro an die EnBW zurückzahlen. Dabei geht es um einen Vertrag mit Bykovs Firma Eurepa in Zürich. Bisher wartet die EnBW auf ihr Geld. Der Konzern hat daraufhin Vollstreckungsmaßnahmen in der Schweiz gegen Eurepa einleiten lassen, wie EnBW nun der sonntaz mitteilte. Amtliche Zustellungen seien unter dieser Adresse nicht mehr möglich. „All dies lässt sich sicherlich kaum mit dem Gebaren eines seriösen Geschäftsmannes vereinbaren“, sagt EnBW.

Das ist einer der Gründe, warum Bykov in der EnBW-Version der dubiose Russe ist, ein Lügner. Einer, der seine Millionen in eine skurrile Kirchenstiftung steckt, in seine mächtige Wohltätigkeitsstiftung „Heiliger Nikolaus der Wundertäter“. Die Millionen dafür seien allerdings von der EnBW geflossen, sagt Bykov. EnBW wollte Erdgas, Bykov sorgte für gutes Klima, indem er mit dem Geld von EnBW Kirchen baute. Die Manager haben dies gewusst, sagt er. Deshalb will er auch kein Geld zurückzahlen. Das ist die Bykov-Version. EnBW bestreitet das.

Seine Stiftung ließ in den letzten Jahren 84 Kirchen errichten, 60 Schachschulen und 30 Denkmäler. Bykov ermöglichte 20 Wallfahrten, finanzierte drei Orchester, baute eine Oper. Er ließ Kindergärten bauen, Schulen und Krankenhäuser. Zu Ehren des heiligen Nikolaus ließ er Statuen an der russischen Grenze zu China und zum Iran errichten. 14 Meter hoch mit solidem Fundament. Oft kamen lokale Würdenträger und Gouverneure zur Einweihung, sogar der Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill I.

Ist Bykov ein religiöser Spinner? Insider, die ihn und sein Netzwerk kennen, sagen: Nicht Bykov sei verrückt, dass er mit der EnBW in den Ring steige. Irrwitzig sei EnBW, sich mit ihm anzulegen.

Bykov habe 100 Millionen Euro der EnBW in seine Stiftung gesteckt, behauptet er. Er habe Kirchen und Statuen bauen lassen, um eine Art historische Versöhnung zwischen Deutschen und Russen zu ermöglichen. Ein deutscher Energiekonzern spendiert Gotteshäuser – und bekommt Zugang zum Gasmarkt.

Einiges deutet darauf hin, dass die EnBW wusste, wozu Bykov sein Geld verwendete. In einer Stellungnahme von EnBW gegenüber der sonntaz vom 4. September 2012 heißt es: „Die EnBW ging davon aus, dass die von ihr geleisteten Zahlungen vertragsgemäß für den vereinbarten Zweck, z.B. für die Beschaffung von Brennstoffen [...] eingesetzt wurden.“ Mithin habe „Bykov bis heute keine Beweise für die von ihm behaupteten Scheingeschäfte zur Erbringung von Landschaftspflege vorlegen können“, so EnBW. Landschaftspflege, also die Pflege guter Beziehung durch Geld.

Der sonntaz liegen allerdings Belege vor, die Bykovs Version von der Mitwisserschaft des Energiekonzerns stützen. Ein internes EnBW-Dokument ist auf den 11. Dezember 2001 datiert – da begann die Beziehung zwischen dem deutschen Energiekonzern und dem russischen Lobbyisten gerade. Es ist eine Notiz des Kernkraft-Chefs der EnBW, Wolfgang Heni, an Gerhard Goll, den damaligen EnBW-Vorstandsvorsitzenden. Heni schickt seinem Chef den Entwurf für ein Kooperationsabkommen über die Zusammenarbeit mit Bykovs Firma Eurepa.

Die entscheidende Passage in dem Schriftstück: „Das von Eurepa geforderte Umsatzhonorar wird zur Hälfte für gemeinnützige caritative Zwecke einer Kirchenstiftung verwendet.“ Wusste EnBW also, dass Bykov mittels milder Gaben für die orthodoxe Kirche ein gutes Klima bei russischen Entscheidungsträgern schaffen wollte? Der Konzern wollte sich mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu Dokumenten äußern, die der sonntaz vorliegen.

In einem Land, in dem selbst Putin die orthodoxe Kirche für die eigene Legitimation benötigt, hat Bykov mit seiner Stiftung „Heiliger Nikolaus der Wundertäter“ ein mächtiges Netzwerk aufgebaut. Putins Partei „Einiges Russland“ selbst war Schirmherr der Stiftung, wie auf der Homepage zu lesen ist. Dort dankt Bykov auch „den Aktionären, dem Aufsichtsrat, dem Vorstand, dem Management und allen Mitarbeitern der Energie Baden Württemberg AG für Ihre 11 Jahre lange Unterstützung“ seiner karitativen Arbeit.

Ermöglichte ihm die Stiftung in einem abgeschotteten Energiemarkt, der beherrscht wird von russischen Staatsunternehmen, Geschäfte anzubahnen? Insider bestätigen die These: Die meisten Gouverneure in Russland seien über alte Seilschaften verbunden. Sie besäßen jedoch keine Fremdsprachenkenntnisse und keine Kontakte ins Ausland. Da sei Bykov der perfekte Mittelsmann. Er stiftete und spendete. Und warb wohl für Deutschland und die EnBW.

Die räumt zumindest ein, von seinem heiligen Auftrag gewusst zu haben. „Es war und ist bekannt, dass sich Herr Bykov als Privatperson für die Belange der russischen Kirche engagiert“, schreibt EnBW zu seiner Stiftung.

Die Geschäftsbeziehungen mit dem russischen Gewährsmann entwickelten sich trotz der jetzigen Differenzen so prächtig, dass mit ihm zwischen 2001 und 2008 Verträge über mindestens 220 Millionen Euro geschlossen wurden.

Es ging demnach um die Lieferung von Atombrennstoffen, den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim und ein System, das zur Terrorabwehr nukleares Material detektieren sollte. Daraus sei nichts geworden, so EnBW. Deswegen habe der Konzern die Schiedsgerichte angerufen.

Bykov behauptet hingegen, die Uran-Verträge seien zum Teil Tarnung gewesen, um die Bezahlung für ganz andere Geschäfte zu verschleiern: Er habe für EnBW den Zugang zu russischen Erdgasfeldern anbahnen sollen. Diesen Auftrag habe er erfüllt. EnBW bestreitet das.

Russland, das größte Land der Erde, verfügt über ein Viertel der weltweiten Reserven und ist knapp hinter den USA zweitgrößter Förderer. Der Staatskonzern Gazprom, der ein Monopol auf Gas-Exporte hat, ist mit großem Abstand Weltmarktführer.

Ein abgeschottetes System, das für EnBW 1998 nach dem Wahlsieg von Rot-Grün zum Problem wurde. Denn als die neue Bundesregierung an die Macht kam und den Atomausstieg beschloss, wurde Kernkraft zu einer überkommenen Technologie. Deutschland brauchte Erdgas, um Atomkraft zu ersetzen. Der Atomkonzern EnBW brauchte eine neue Strategie.

Erdgas-Kraftwerke gelten als perfekte Ergänzung zu erneuerbaren Energien, weil sie effizient Strom erzeugen und die Schwankungen von Solar- und Windenergie ausgleichen können. Erdgas war die Zukunft. Und wurde zum Trauma der EnBW-Manager.

Seit über einem Jahrzehnt arbeiten sie daran, nicht mehr bei Zwischenhändlern kaufen zu müssen. Sie wollten an die Quelle. Doch diesen Zugang bekam EnBW erst im Sommer 2012. Viel später als erhofft. Als EnBW entstand, waren die Claims in Russland bereits vergeben. Erst 1997 schmiedete der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel (CDU), aus vier regionalen Energieversorgungsunternehmen den Energieverbund Baden-Württemberg. Er benannte sich 1998 in Energie Baden-Württemberg um. So entstand die EnBW. Zu spät.

Denn zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Ruhrgas AG, die heute zu Eon gehört, und die BASF-Tochter Wintershall bereits den Zugriff auf den russischen Gasmarkt gesichert. Selbst dieses Geschäft will Andrey Bykov mit eingefädelt haben, behauptet er. Die Presseabteilung von Wintershall dementiert auf sonntaz-Anfrage.

Doch EnBW wurde auf Bykov aufmerksam. Denn beim Konzern gab es einen Manager, der seit Jahrzehnten gute Kontakte nach Russland hatte: Wolfgang Heni, der deutsche Pionier für Atomgeschäfte mit der Sowjetunion. Bereits im Kalten Krieg begannen die Geschäftsbeziehungen zwischen Baden-Württemberg und der Sowjetunion. Das geht aus einem geheimen „Memorandum über die strategische Partnerschaft und Kooperation“ vom 9. Juni 2008 hervor, das der sonntaz vorliegt und das vom russischen Staatskonzern Tenex, einem Vertreter von Bykovs Firma Eurepa, und Wolfgang Heni unterzeichnetet wurde.

Heni leitete später die Kernkraftwerkssparte der EnBW, die in Neckarwestheim und Philippsburg vier Reaktoren betrieb. Und er arrangierte viele Jahre lang die Geschäfte mit Bykov, beide verständigten sich auch darüber, dass der russische Lobbyist Gasfelder für EnBW erschließen sollte. Heute fordert EnBW 93.568.000 Euro Schadensersatz von Heni. Inzwischen ist er im Ruhestand.

Aber Heni machte die Geschäfte nicht alleine. Gerhard Goll, erster Chef der EnBW und ein Mann, der stets sein Wort hielt, wie Bykov sagt, war eingeweiht. Das belegt eine Notiz, die der sonntaz vorliegt. Wolfgang Heni schrieb am 11. Dezember 2001 an Gerhard Goll: „In der ersten Stufe ist vorgesehen, dass Eurepa dafür sorgt, dass EnBW möglichst bald Zugang zu russischem Erdgas erhält.“

Schnell solle dann über eine Einbringung „der Gaskraftwerke und der Gasprojekte der EnBW in eine neue Gesellschaft entschieden werden, an der sich Rosneft oder JV Gazprom/Rosneft beteiligt, damit wir den Status von innerrussischen Lieferungen erhalten.“

Heni unterrichtete Goll ebenso darüber, dass nicht nur die EnBW Interesse an dem russischen Gasfeld „Kharampur“ habe. Auch die Konkurrenz antichambriere schon. Jedoch beruhigte Heni seinen Chef. „Meines Erachtens ist dies weiter nicht tragisch, weil den Herren die politische Rückendeckung nicht bekannt ist“, schrieb er. Gemeint waren wohl Bykovs Drähte nach ganz oben. Der Wettbewerbsvorteil für die EnBW.

Insider bestätigen, dass Bykov für die Anbahnung von Energiegeschäften zwischen Deutschen und Russen seit Jahren wohl der wichtigste Mann gewesen sei. Wer ist Andrey Bykov?

Antikommunistischer Eifer, religiös verklärt

Er wächst in Westberlin auf. Sein Vater arbeitet dort im sowjetischen Generalkonsulat. Ein Insider sagt, sein Vater, und später auch Bykov selbst, habe gute Kontakte in den Kreml und zu Wladimir Putin gehabt. Bykov bestreitet das.

1988 wird er selbst Attaché in der sowjetischen Botschaft in Bonn. Er baut dort die Kontakte auf, die ihm später zu einem der „bestbezahlten Lobbyisten Europas“ machen, wie Bykov sich selbst nennt. „Es dauerte anderthalb Jahre bis ich begriff: Man hat meine Generation betrogen. Ich wurde daraufhin zum knallharten Antikommunisten“, sagt Bykov.

Seinen antikommunistischen Eifer verklärt er religiös. Religion und Kapitalismus verschmelzen bei Bykov zu einem Amalgam. Mit 28 Jahren tritt er aus dem diplomatischen Dienst aus. Er macht sich als Berater selbständig. Er findet seine Mission. Wenn er sie heute beschreibt, dann sagt er: „Wir arbeiten an einer christlichen Wiedergeburt Russlands. Wir bekämpfen den Kommunismus, denn in jedem von uns steckt ein Kommunist.“ Wer als Kapitalist den Atheismus der Kommunisten bekämpft, tut Gott einen Gefallen – so könnte die Essenz von Bykovs Weltbild beschrieben werden. Er habe, sagt er, beim Tode seines Vaters geschworen, dessen Seele und die seiner Ahnen aus der Hölle zu retten.

Bykov ist nicht nur als Geschäftsmann und Lobbyist äußerst erfolgreich. Auch in der klerikalen Welt Russlands zählt er mittlerweile zu den 700 Auserwählten, die das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche wählen dürfen. In russischen Kirchen wird auf Geheiß des Patriarchen für Bykovs Heil gebetet.

Trotzdem gelang es Bykov nicht, der EnBW eine Stichleitung in ein russisches Gasfeld zu sichern. Der Plan scheiterte. Doch Bykov sagt, nicht er sei schuld daran, sondern EnBW selbst. Bykov spricht von Sabotage, einem „inneren Feind“ beim deutschen Energiekonzern. Ein Feind, der kein Interesse daran gehabt haben soll, dass EnBW eigenständig Gasgeschäfte anbahnen würde. Und tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass es bei EnBW einen internen Machtkampf gab.

Grund dafür war der Einstieg des staatlich dominierten Atomkonzerns Électricité de France (EDF) bei der EnBW im Jahr 2000. Es war die Zeit, in der in Deutschland der Strommarkt liberalisiert wurde und Konzerne wie EDF oder Vattenfall sich Zugang zu Europas größtem Industrieland verschaffen wollten. Das Land Baden-Württemberg verkaufte seine EnBW-Anteile, rund 25 Prozent, für 2,4 Milliarden Euro an die EDF. Die Franzosen erhöhten später ihren Anteil auf 45 Prozent – und schickten ihre Manager nach Karlsruhe. EDF produzierte damals zu viel Strom, dem Konzern gehören 58 Atomkraftwerke. Erst durch die Beteiligung an EnBW hätte EDF seinen Strom in Deutschland verkaufen können. Grund war EG-Recht: Weil deutsche Konzerne ihren Strom noch nicht in freiem Wettbewerb in Frankreich anbieten konnten, durften die Franzosen auch nicht in Deutschland verkaufen – es sei denn, sie beteiligten sich an einem heimischen Anbieter. Zudem gab es eine klare Konzernstrategie: EDF wollte Zugang zu Gas, um weg vom reinen Atomgeschäft zu kommen. Die Franzosen stiegen in Pipelinegeschäfte ein, sicherten sich Zugang zu Gasfeldern in der Nordsee – dass die neue deutsche Tochter auf eigene Faust in Russland rumfuhrwerkt und sich Gasgeschäfte sichert, das passte vermutlich nicht in die Strategie. Das glaubt zumindest Bykov.

Auch interne Unterlagen der EnBW, die der sonntaz vorliegen, deuten darauf hin, dass EnBW-Manager gegen das eigene Geschäftsinteresse agierten. Denn Bykov hatte für EnBW den erwünschten Gas-Deal angebahnt. Im Oktober 2002 hätte EnBW Zugang zum russischen Gasfeld „Kharampur“ bekommen können. Hätte – es kam nicht dazu.

Das Feld sollte Vorkommen von 250 Milliarden Kubikmetern bergen, fünf Mal so viel Gas wie Wasser im Bodensee. Die Lizenz für Kharampur hielt zu diesem Zeitpunkt der staatliche Konzern Rosneft. Den Investitionsbedarf zur Erschließung beziffern interne Unterlagen der EnBW auf 350 Millionen Dollar. EnBW wäre am Ziel gewesen, Bykov hätte den Auftrag erfüllt: Endlich eine eigene Leitung zum Gasfeld. Eine „trilaterale Arbeitsgruppe“ wollte sich treffen, die das Geschäft besiegeln sollte.

So heißt es in einem Brief der „EnBW Holding Vorstandsbereich Kunden“, der der sonntaz vorliegt. Adressat der Einladung: Gazprom-Vorstand Jury Komarov und Rosneft-Präsident Sergej Bogdanchikov. Mit den Managern sollte das Projekt „Kharampur“ im Customer Care Center der EnBW in Karlsruhe abgeschlossen werden.

25 Prozent Zinsen. Nicht mit den Russen

Doch als die Russen in Deutschland einflogen, fanden sie im Vertragsentwurf plötzlich überzogene Forderungen zur Vorfinanzierung des Projekts. „Das Darlehen wird entsprechend dem Charakter des Projekts und dem damit verbundenen Risiko verzinst (etwa 25%...)“, heißt es dort. 25 Prozent Zinsen. Das empfanden die Manager als dreist. Die Delegation aus Moskau reiste ohne weitere Verhandlungen ab. Mitverantwortlich damals für das Gasgeschäft: Pierre Lederer, ehemals EDF.

Bykov behauptet, dass bewusst eine zu hohe Forderung gestellt worden sei – auf Geheiß der Franzosen. Die EDF habe den Deal verhindern wollen.

Von nun an herrschte Misstrauen im Konzern, zwischen den EDF-Vertretern und den deutschen Managern, so die These Bykovs. Deshalb hätten sie den Auftrag an ihn, russisches Gas zu akquirieren, fortan in geheimen Zusatzprotokollen zu Uranverträgen regeln müssen. Fest steht, dass EnBW von Wolfgang Heni mittlerweile 93 Millionen Euro zurückverlangt, weitere Forderungen gab es gegen drei Manager. Alle aus dem Atombereich, der nicht von EDF-Männern kontrolliert wurde. Die EnBW geht mittlerweile gegen die eigenen Spitzenkräfte vor, weil sie mit Bykovs Geschäften in Verbindung gebracht werden.

Doch es gibt einen Brief von Gerhard Goll, dem ehemaligen EnBW-Chef. Er schreibt am 13. Dezember 2001 an Bykov: „Ein solches Engagement braucht die Zustimmung des EnBW-Aufsichtsrats. Wie dies geschehen kann, ohne die Vertraulichkeit zu verletzen, weiß ich noch nicht. Aber man wird einen Weg finden.“

Was offensichtlich nicht gelang. Die französischen Vertreter im Konzern sollen es gewesen sein, die auch die erste interne Untersuchung der Affäre veranlassten. Ein interner Revisionsbericht vom 19. April 2004, der als „streng vertraulich“ gekennzeichnet ist, belegt, dass die EnBW mit dem russischen Lobbyisten weitere Beraterverträge schloss – weil Gas-Geschäfte gescheitert waren. Im Revisionsbericht steht: „Dieser Vertrag wurde als ‚Ersatz‘ für seitens EnBW gekündigte Verträge aus Gasaktivitäten abgeschlossen, bei denen eine ordentliche Kündigung nicht möglich war (Substitutionsvertrag).“

Nicht nur der erste Vorstand Goll wusste von den Gasgeschäften, auch alle seine Nachfolger waren vermutlich informiert.

In einem Brief, den Wolfgang Heni am 12. April 2007 an Bykov schrieb, heißt es: „UC ist definitiv nächste Woche nicht verfügbar. Nach Rücksprache mit Schierwater schlägt er vor, dass wir Holzherr doch nicht einladen. Damit bliebe das Verhältnis der EnKK zu Lederer im Ernstfall, wenn der Wind von dem Besuch bekäme, unbelastet.“ EnKK ist die Kernkraftwerks-Gesellschaft der EnBW. Bei dem Treffen hätte es laut Bykov um einen Besuch des damaligen russischen Energieministers Sergej Schmatko gehen sollen.

„UC“ könnte für Utz Claassen stehen, den damaligen Vorstandsvorsitzenden der EnBW. Hermann Schierwater war im Konzern einer der engsten Vertrauten Claassens. Christian Holzherr war Finanzvorstand.

Verträge für ein „vorteilhaftes Klima“

Bis heute beteuert Claassen, an den Gas-Geschäften nicht beteiligt gewesen zu sein. Über seine Anwälte ließ er der sonntaz mitteilen: „Während der Amtszeit von Prof. Claassen gab es keine strategische Zielsetzung des Konzernvorstandes dahingehend, einen Zugang zu russischen Gasvorkommen zu erlangen. Aus diesem Grunde konnte Herr Bykov selbstverständlich auch nicht mit der Umsetzung einer derartigen - nicht vorhandenen - Strategie beauftragt werden. Herr Bykov ist entsprechend nicht damit beauftragt gewesen, derartige Geschäfte für den EnBW-Konzern vorzubereiten.“

Im März 2004 beschäftigte sich die Konzernrevision mit den Gasgeschäften von Bykov. Also zur Amtszeit von Utz Claassen. In dem als „streng vertraulich“ deklarierten Dokument heißt es: „Die Verträge wurden aussagegemäß insbesondere mit der Intention geschlossen, für die Interessen im Gas-Bereich ein vorteilhaftes Klima zu schaffen.“

Claassens Anwälte schreiben nun der sonntaz: „Es gibt keinen entsprechenden Revisionsbericht vom März 2004. Die von Ihnen in Bezug genommenen Formulierungen sind in dem tatsächlichen Revisionsbericht vom 18.06.2004 schlichtweg so nicht enthalten. Etwaige Entwurfsversionen des Revisionsberichtes, die in der Zeit zuvor erstellt wurden und die durch den endgültigen Bericht vom 18.06.2004 ohnehin obsolet geworden sind, sind Herrn Prof. Claassen während seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der EnBW nicht zur Kenntnis gelangt.“ Doch im Adressverteiler des angeblich nicht existenten Berichts vom März 2004 steht auch: „Prof. Dr. Utz Claassen (vorab)“. Der Bericht war auch an Helge Hentschel adressiert, die Bereichsleiterin der EnBW Konzernrevision, die schon Claassens persönliche Assistentin bei der Sartorius AG war, wo Claassen zuvor Vorstandsvorsitzender war. Die EnBW räumt heute ein, dass Bykov mit Gasgeschäften betraut war – allerdings ohne die Vergütung als Urangeschäfte getarnt zu haben. Selbst die Bundesregierung schreibt in einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen vom September 2012, dass sie von den Plänen des EnBW-Konzerns, in großem Umfang Gas aus Russland zu besorgen, unterrichtet gewesen sei. Was wusste Claassens Nachfolger, der amtierende Konzernchef Hans-Peter Villis?

Am 21. November 2007 will er sich mit dem russischen Botschafter Kotenev treffen, wie aus einer Notiz der EnBW hervorgeht. Es soll, mal wieder, ums Gasgeschäft gehen. Wolfgang Heni brieft seinen Chef: „Ich gehe davon aus, dass Kotenev das russische Angebot aus dem Jahr 2001 an Herrn Goll zur Zusammenarbeit mit Rosneft und Gazprom beim Projekt Kharampur ansprechen wird (kam dann 2002 nicht zu Stande) und anbietet, nochmals einen Versuch der Zusammenarbeit im Gasbereich zu unternehmen.“

Villis solle Kotenev vermitteln, „dass die EnBW [...] Substitutionsmöglichkeiten für Brennstofflieferungen im fossilen Bereich“ suchen würde, „ebenso Lieferquellen für das Gasgeschäft.“ Von russischer Seite werde auch Bykov teilnehmen.

Am 11. September 2008 schreibt Villis einen Brief an Wladimir Putin. Die Erfahrung „im Bereich Nuklear und Erdgas“ würde der EnBW-Chef gerne „mit der Russischen Föderation nutzen und fortentwickeln. Insbesondere im Bereich [...] der integrierten Erdgasnutzung“. Er habe „Herrn Andrey Bykov gebeten, mit den russischen Regierungsstellen Kontakt aufzunehmen“, schreibt Villis in dem Brief, der der sonntaz vorliegt. Er verbleibt mit „vorzüglicher Hochachtung“.

Gegenüber der sonntaz bestätigt EnBW erstmals am 04. September 2012: „Die Beraterverträge bezogen sich u.a. auf die Möglichkeit eines Gasbezugs der EnBW in Russland.“ Es sei nun auch „richtig, dass es sich dabei um das Gasfeld Kharampur handelt“, schreibt EnBW. Zu den Gründen für das Scheitern des Geschäfts erwähnt EnBW hingegen keine Forderung von 25 Prozent Zinsen, die die Russen so erbost haben soll. 2002 sei das Geschäft „aus wirtschaftlichen Gründen [...] beendet worden“, schreibt EnBW.

Im März 2004 prüfte die Konzernrevision die Gasgeschäfte. Seit Sommer 2009 gab es bei der EnBW eine weitere Sonderuntersuchung der Konzernrevision: Das „Projekt Uri“. Auch deren Bericht liegt der sonntaz vor.

Der Konzern wollte wohl verhindern, dass sich die Staatsanwaltschaft wegen der Geschäfte mit Bykov einschaltet. Erfolgreich, zumindest zeitweilig. „Hauptziel erreicht, Abgabe der Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft wurde vermieden“, heißt es in dem Bericht einer „ad-hoc-Sitzung“.

Bykov bewirbt sich bei Winfried Kretschmann

Seit Ende Juni ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen EnBW-Manager. Ob auch Wolfgang Heni dazu gehört, wollte die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Der Konzern selbst erhebt gegen vier Manager Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 209 Millionen Euro. Von Vorstand Hans-Josef Zimmer verlangt EnBW 80 Millionen Euro. Dennoch wird er weiter im Unternehmen beschäftigt. Manche sagen, er würde zu viel wissen. Wie Bykov. Er zeigt Bilder mit seinem Freund, dem ehemaligen Schachweltmeister Anatoli Karpow. Bykov mit Giorgio Napolitano, dem italienischen Staatspräsidenten, mit Nelson Mandela, mit Nikolai Romanow, einem Nachfahren des russischen Zaren, mit Ex-Präsident Dmitri Medwedjew und auch mit Prinz Charles. Bykov lächelt. „Ich entwickele ökonomische Modelle und ich habe es geschafft, dass meine Modelle sehr teuer gekauft werden“, sagt er.

Am 30. Juni 2012 schreibt Bykov an Winfried Kretschmann, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Inzwischen gehört die EnBW wieder dem Land. Ein Grüner hat jetzt die Kontrolle über den mächtigen Atomkonzern aus Karlsruhe.

Bykov schickt Kretschmann und den EnBW-Aktionären den Tätigkeitsbericht seiner Stiftung. Dazu legt er einen 12-seitigen Brief. Auf Seite 11 empfiehlt er sich für einen Posten in Karlsruhe. „Mag für Sie auch der Gedanke, mich auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden der EnBW einzuladen, für den Moment verblüffen und unrealistisch sein, so sollten Sie trotzdem wissen, dass ich ungeachtet der immensen Schwierigkeiten, in denen sich das Unternehmen befindet, zu einer solchen Herausforderung bereit wäre“, schreibt Bykov.

Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, antwortet knapp, wenn man ihn nach Bykovs Bewerbung fragt. Ein Nachfolger für EnBW-Chef Hans-Peter Villis sei gefunden. Alles weitere sei Makulatur.

Ingo Arzt, 34, ist taz-Redakteur für Ökologie und Wirtschaft

Klaus-Helge Donath, 55, ist Russland-Korrespondent der taz

Kai Schlieter, 38, ist Leiter des Ressorts Reportage und Recherche