Zu fairen Bedingungen

Ein Welthandel mit sozialen und ökologischen Standards kann die Entwicklungsländer fördern und zu einem Ausgleich zwischen ihnen und den Industrienationen führen

Der qualifizierte Marktzugang schützt vor Sozial- und Ökodumping und schöpft Fördermittel

Der Handel mit Agrarprodukten steht im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, an der die WTO-Verhandlungen über globale Handelsregeln in Genf vorerst scheiterten. Während viele Industrie- und Schwellenländer auf den Abbau von Handelsbeschränkungen und die Öffnung nationaler Märkte drängen, fordern Globalisierungskritiker wie Attac, Agrarprodukte vom internationalen Handel auszuschließen und dadurch die Ernährungssicherheit und -autonomie jedes Landes zurückzugewinnen.

Doch weder eine bedingungslose Marktöffnung der Industrieländer für Importe von Agrarprodukten aus Entwicklungsländern noch die Ausnahme der Agrarhandelsfragen aus den multilateralen Verhandlungen verspricht einen Durchbruch im Hinblick auf die Bekämpfung des Hungers und faire Handelsregeln. Die Möglichkeit, Zugang zu fremden Märkten zu bekommen, muss vielmehr mit sozialen und ökologischen Kriterien einen Anreiz zu nachhaltiger Erzeugung bei allen Handelspartnern und einen Umverteilungsmechanismus bewirken, der gezielt den bedürftigsten Bevölkerungsgruppen zugute kommt, den Landlosen und den Kleinbauern. Das sind nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO 70 Prozent der Hungernden der Welt.

Die Welthandelsrunde der WTO hat soziale und ökologische Standards bisher als so genannte nicht handelsbezogene Aspekte aus den Verhandlungen systematisch ausgegrenzt. Sie müssen aber ihr zentraler Bestandteil werden, um weltweites Lohn- und Umweltdumping zu verhindern. Das ist vor allem deshalb notwendig, weil die den Handel dominierenden multinationalen Konzerne in Ländern investieren, in denen ihnen im Hinblick auf Umweltschutz und soziale Sicherheit am wenigsten abverlangt wird. Von dort fordern sie dann mehr Marktöffnung, um auf Märkten mit höheren Preisniveaus höhere Gewinne zu machen. Das gilt etwa für europäische Hähnchenproduzenten aber auch die Zuckerindustrie, die in Brasilien, Thailand und Südafrika investiert, wo Umweltgesetze, Löhne und Rohstoffe geringere Kosten und höhere Gewinne versprechen.

Die EU hätte gute Voraussetzungen, den Mechanismus des qualifizierten Marktzugangs in die WTO-Verhandlungen einzubringen und durchzusetzen. Sie hat bei der jüngsten Reform der gemeinsamen Agrarpolitik den eigenen Bauern durch die Bindung von öffentlicher Förderung an die Einhaltung von Umwelt- und Tierschutzgesetzen bereits Bedingungen vorgegeben. Sie verfügt mit Quotenregelungen bei Zucker und Milch sowie bei den Präferenzabkommen mit den AKP-Staaten, einer Gruppe von Entwicklungsländern, über die Instrumente der Angebots- und Preissteuerung, mit denen die Abwärtsspirale bei den Weltagrarpreisen entgegengewirkt werden könnte. Sie bietet den ärmsten Entwicklungsländern freien Marktzugang ab 2010 an und könnte diesen durch Quoten für kleinbäuerliche Produzenten präzisieren. Das Problem liegt darin, dass die EU in der Praxis und in den WTO-Verhandlungen diese Möglichkeiten und Instrumente nicht nutzt, um dem weltweiten Agrardumping entgegenzuwirken.

Sie ist vielmehr weiterhin treibender Faktor des Preisverfalls auf den Weltagrarmärkten, indem sie an Exportsubventionen und einer internen Preissenkungs- und Einkommensausgleichspolitik festhält, die der exportorientierten Agrarindustrie, aber kaum den Bauern nutzt. Wären die Mitgliedstaaten der EU 2003 den Weg der Reform konsequent gegangen und hätten die Subventionen in Fördermaßnahmen für die nachhaltige ländliche Entwicklung umgewidmet, könnte die EU heute die Vorreiterrolle für einen fairen Agrarhandel spielen.

Schon Ende 2002 hatte das Europäische Parlament den Europäischen Rat und die Kommission aufgefordert, den qualifizierten Marktzugang als Ausgleichsmechanismus in die WTO-Verhandlungen einzubringen. Die Grundidee besteht darin, dass statt bedingungslosem Zollabbau die bisher allein auf Preise bezogenen Zölle durch die Anwendung sozialer und ökologischer Standards in Handelskonditionen umgewandelt werden. Durch konsequente Umsetzung – naturgemäß teurer – sozialer und ökologischer Standards erwirbt ein Land oder Binnenmarkt das Recht, den qualifizierten Außenschutz anzuwenden. Auf Importe, die diese Standards nicht erfüllen, werden an der Grenze Abgaben erhoben, sodass die sozial und ökologisch gerechtfertigten Kosten im Binnenmarkt nicht unterlaufen werden können. Diese Abgaben fließen in einen internationalen Fonds, der den betroffenen Ländern oder den besonders bedürftigen Bevölkerungsgruppen zur Sicherung der Lebensmittelversorgung und zur schrittweisen Einführung der Standards dient. Der qualifizierte Marktzugang schafft also gleichzeitig Schutz vor sozialem und ökologischem Dumping und schöpft Fördermittel als Voraussetzung für Ernährungssicherung und nachhaltige ländliche Entwicklung.

Die Einigung über die Festlegung und Kontrolle der entsprechenden Standards ist natürlich ein schwieriger Prozess. Als Ausgangspunkt bieten sich die bereits im UN-Rahmen geschlossenen Verträge wie die Menschenrechts- und die Umweltkonventionen an. Hinzu kämen die sozialen Arbeitsschutzstandards der Internationalen Organisation für Arbeit und die Vereinbarungen im Rahmen der Welternährungsorganisation und der Unep zu nachhaltigen Anbaumethoden. Die Forderung nach Qualifizierung des Zollabbaus und des Marktzugangs kann eine konsequentere Umsetzung dieser Verträge erwirken.

Die Kommission als Unterhändler der EU-Staaten in den WTO-Verhandlungen ist verpflichtet, diese Verträge einzuhalten und umzusetzen. Sie ist in vielen Bereichen sogar weit über diese Standards hinausgegangen, etwa beim vorsorgenden Verbraucherschutz, dem Grundwasser-, Boden- und Tierschutz. Da es aber an einer konsequenten Umsetzung der fortschrittlichen Standards im Binnenmarkt mangelt, fehlt die Glaubwürdigkeit, um die Standards nach außen auch durchzusetzen.

Die EU hätte gute Voraussetzungen, faire Regeln in die WTO-Verhandlungen einzubringen

Politisch wichtig ist deshalb, dass Umwelt-, Bauern- und entwicklungspolitische Organisationen in der Öffentlichkeit gleichzeitig die Umsetzung geltenden Umwelt- und Sozialrechts in der EU fordern und das Dogma der WTO, internationale Handelsfragen ließen sich von sozialen, ökologischen und kulturellen Werten getrennt behandeln, immer wieder angreifen und ad absurdum führen.

Die derzeit in der WTO geführte Diskussion über so genannte sensible und spezielle Produkte eröffnet diese Möglichkeit. Dies sind Produkte, die in Entwicklungs- und Industriestaaten vom Zollabbau ausgenommen werden dürfen, weil befürchtet wird, dass die nationale Ernährungssicherheit oder bestimmte Wirtschaftszweige zusammenbrechen würden. Diese Ausnahmeregelung beim insgesamt von der WTO geforderten Zollabbau und der Marktöffnung ist ein deutliches Zeichen, dass das Dogma nicht mehr zu halten ist.

HANNES LORENZEN