wortwechsel: Demokratie und Markt – sind sie kompatibel?
Lehren der Ereignisse in China vor 30 Jahren. Suche nach einem links-grünen Projekt. Ein Konzept für grüne Industriepolitik. Wohnen in der Nähe von Porsche. Und Dank an ©TOM
Chicago-Schule in China
„Der Deal läuft aus“, taz vom 1. 6. 19
Deng Xiaopings Befehl, die Protestierenden vom Tiananmenplatz von Panzern überrollen zu lassen und ein beispielloses Massaker anzurichten, spricht für eine Regierung, die keinerlei moralische Skrupel bei der Durchsetzung ihrer Ziele kannte.
Allerdings ist die übliche westliche Sicht, hier sei es um einen Aufstand für Freiheit und Menschenrechte gegen die Übermacht der KP gegangen, nur die halbe Wahrheit. Helmut Schmidt hatte im Nachhinein geurteilt, Dengs Befehl sei „alternativlos“ gewesen, um Chinas wirtschaftliches Modernisierungsprojekt nicht zu gefährden. Bei diesem lange vorbereiteten Projekt ging es um die Einführung eines marktradikalen Wirtschaftsliberalismus nach der Chicagoer Schule um Milton Friedman.
Selbigen hatte die KP schon im Jahr 1980 eingeladen, um Hunderten hochrangigen Staatsbeamten, Parteifunktionären und Professoren die Theorie des freien Marktes zu erklären, eines Marktes, dessen ungehemmte Handelsfreiheit gleich mitdefinierte, was Freiheit ansonsten ist, die politische Freiheit des Politbüros und die Freiheit der Bürger, reich zu werden und zu konsumieren. Die chinesische Regierung setzte damals freie Märkte in Kombination mit einem diktatorischen Regime durch, das das Volk mit eiserner Faust unterdrückt, eine perfekte Kopie der blutigen Diktatur und der Wirtschaftsreformen unter Pinochet in Chile.
Was im Westen meist übergangen wird, die Studenten protestierten auch gegen Lohnsenkungen, Preissteigerungen, Entlassungen und Arbeitslosigkeit, die sich mit den beginnenden marktkonformen Liberalisierungen eingestellt hatten. Kurz nach dem blutigen Gemetzel machte Deng in einer Rede an die Nation klar, dass es ihm nicht um den Schutz des Kommunismus, sondern des Kapitalismus ginge. Die Ereignisse in China lehren, dass der Kapitalismus in vielen Ländern mit einer politischen Diktatur durchaus konform geht und nicht automatisch Demokratie im Gepäck hat. Klaus-Peter Lehmann, Augsburg
„Völker hört …“
„Hilfe, ich bin linksradikal!“, taz vom 5. 6. 19
„Linksradikale aller Länder, vereinigt euch“, höre ich als Botschaft, und der Wunsch traut sich aus dem verschämten Versteck: „Völker hört die Signale …“ Klarer und kompakter lässt sich die neoliberale ökonomische Hässlichkeit mit ihren zerstörerischen Folgen für jeden Einzelnen, mit ihrer Zertrümmerung gesellschaftlichen Miteinanders, die von politischer Korruptheit und moralischer Verkommenheit befeuert werden, nicht in Worte fassen, als Georg Seeßlen es tut. Eine aufklärerische Brandrede zur rechten Zeit.
Die Ergebnisse der Europawahl machen keine Hoffnung, weil keine der gewählten Parteien auch nur eine Idee von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit hat, geschweige denn ein Konzept oder ein Programm, um das System, das diese Ideale verraten hat oder sie zur Unkenntlichkeit verbiegt, so radikal umzugestalten, wie es nötig wäre.
Ein links-radikales Projekt in diesem Sinne könnte sein, der unsäglichen Heuchelei auf allen medialen Kanälen zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes dessen Buchstaben entgegenzuhalten: Die Raffinesse der Verfassungsschutzdefinition, die Georg Seeßlen zitiert, besteht darin, dass sie nicht das grundgesetzliche Fundament, sondern das durch und durch marode Gebäude – „Staats- und Gesellschaftsordnung“, das auf ihm errichtet worden ist, absichert. Eine Bewegung der zahllosen Menschen, die unter dieser Ordnung leiden, muss sich einen freien, gleichen und geschwisterlichen Rahmen schaffen, jenseits einer Demokratie, die sich selbst zerstört hat, aber auf der Basis eines Grundgesetzes, dessen Artikel Priorität erhalten, durch die das Wohlergehen und die Würde aller Menschen geschützt werden soll.
Welch eine unerwartete Wendung der Geschichte, wenn es ausgerechnet die jungen Leute wären, deren Hartnäckigkeit und Geradlinigkeit beispielgebend für alle anderen sind, von denen die mitreißenden Impulse ausgingen: Sie machen als Aktive bei den Fridays for Future oder bei den Extinction Rebellions Hoffnung auf eine systemische Veränderung, die keine PolitikdarstellerInnen oder neuen Personalien in dieser oder jener Partei benötigt. Günter Rexilius, Mönchengladbach
Grüne Ideen für die SPD
„Gesucht: eine grüne Industriepolitik“, taz vom 1. 6. 19
Wer eine „grüne“ Industriepolitik sucht, sollte sie naturgemäß nicht bei der SPD suchen, sondern bei den Grünen. Die Industriepolitik, die Nils Heisterhagen in seinem Beitrag beschreibt, ist jedenfalls keine grüne, sondern eine rote Industriepolitik in grünem Gewand. Laut dieser Industriepolitik soll der Staat mehr Agenturen gründen und Steuergelder nach dem Gießkannenprinzip in zahlreiche Forschungsfelder – von der Kernfusion bis zur Brennstoffzelle – stecken.
Grüne Industriepolitik ist aber kein rein staatliches Forschungs- und Subventionsprogramm für Öko-Nischen, sondern setzt einen ordnungspolitischen Rahmen, um die Dynamik freier Märkte in ökologisch-soziale Bahnen zu lenken. Sie baut klimaschädliche Subventionen ab, fördert nachhaltige Anlageprodukte, um Finanzmärkte ökologischer zu gestalten, setzt Effizienzstandards und fördert ökologische Investitionen. Eine Grüne Industriepolitik verbindet Ökologie und Ökonomie und setzt nicht auf rein staatlich-technologische Lösungen.
Wenn Nils Heisterhagen also seiner SPD-Parteiführung vorschlägt, „kopiert die Ideen, setzt euer SPD-Logo drunter und verabschiedet es dann“, kann ich nur raten, die grünen Ideen wenigstens richtig zu kopieren. Roderick Kefferpütz, Stuttgart
Gegen Motorenkrach
„Kampagne gegen Motorradlärm startet“, taz vom 7. 6. 19
endlich! die extrem zunehmende terrorisierung von anwohnern durch unglaubliche lärmemissionen ist eine echte belastung. aber es geht nicht nur um motorräder. wir leben hier zwischen den werkstoren von AMG und Porsche und leiden täglich an den „lärmsteuernden auspuffklappen“, die man bei vielen autos gleich beim kauf ganz „legal“ mitbestellen kann. genau wie beim abgasbetrug werden hier bei der zulassung die parameter bei der prüfung in der werkstatt eingehalten, aber auf der straße werden dann störende und gesundheitsschädliche lärmwerte erreicht. insofern bringen auch lärmkontrollen nach den zulassungsvorgaben durch die polizei nichts, weil erst außerhalb der testdrehzahlen die klappe aufmacht und das fahrzeug „brüllt“. hier müssen realitätsnahe vorgaben für die zulassung für motorräder und autos her! Holger Meise-Fischer, Waiblingen
Ikognito auf dem Hof
©TOM vom taz vom 8./9./10. 6. 19
Lieber ©TOM, wir fragen uns immer wieder, woher Du so viele Dinge aus unserem Leben weißt. Am Samstag haben wir uns aber wirklich erstaunt gefragt, ob Du inkognito auf unserem Hof Urlaub gemacht hast. Schade, dass Du Dich nicht geoutet hast, wir sind nämlich Fans von Dir. Grüße von der Biopension zum Pferdebrunnen aus Weißenborn, Anne-Bärbel Langer
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