Ausgehen und rumstehen von Doris Akrap und Ulrich Gutmair: Es geht immer nur in den Süden. Im Norden ist nichts
Kalt war’s überall. In der Volksbühne, im Haus der Kulturen der Welt. Aber die Geschichten der „Poets of Migration“ wärmten das Herz, auch die traurigen.
Die „Poets of Migration“ sind ein Autorenkollektiv und eine literarische Plattform. Auf der Bühne ein Klavier, auf dem Zoran Terzić irgendwann Yade Önder begleiten würde, und ein Bass, mit dem Josepha Conrads die Lieder ihrer Ein-Frau-Band Susie Asado spielte. Dahinter die graue Mauer, die tags darauf eine Rolle in der Inszenierung von David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“ spielen sollte. Manchmal Filme: Der beste zeigte die gewagten Überholmanöver von Menschen auf dem Transit in die alte Heimat.
Immer wieder ging es um die Alten, die den Nachgeborenen in der Erinnerung Heimat sind: Die aus Ungarn nach Deutschland geflüchteten Großeltern von Wolfgang Farkas, der Heimat als Bühne bezeichnete, auf der am Ende immer einzelne Personen auftreten: „Ich bin ich, und du bist du.“ Oder der maoistische Onkel von Imran Ayata, der in der Türkei im Knast saß und nun gestorben ist, was Ayata über ihn und sich selbst nachdenken lässt. Oder die merkwürdigen Eltern in Yade Önders surrealistischer Erzählung, die ein Haus auf eine Wiese bauen. „Ich hatte ein eigenes Zimmer, das Hannelore Kohl, die damals mit ihrem dicken Mann neben uns einzog, als das schönste Kinderzimmer bezeichnete, das sie je gesehen hatte.“
Es war ein schnörkelloser, einfacher und kurzer Satz, der der Satz des Abends war. Zumindest waren sich darüber die anwesenden Kinder der ersten Gastarbeitergeneration Deutschlands aus Jugoslawien, der Türkei und Griechenland bzw. der DDR später beim Trinken in der Kantine einig. Er lautete: „Im Norden ist nichts. Man fährt immer nur in den Süden.
Terzić brachte Debatten über Einwanderung und Heimat auf zwei Begriffe und Formeln. 1. „Identitis“: Zeit mal Raum durch menschliche Lichtgeschwindigkeit im Quadrat plus Integration mal Nationalhymne. 2. „Transitis“: Auto plus Familie geteilt durch die Entfernung zum Zielort mal Sehnsucht durch Saftstände mal Gepäck geteilt durch die Anzahl der Grenzübergänge. Später, in der Kantine, sangen alle für Terzić ein Geburtstagsständchen.
Grenzübergänge wurden am Samstag auch im HKW getestet. Der Londoner DJ Actress kam im Dunkeln auf die Bühne, darauf ein Tisch mit Laptop, ein Mikrofon, Boxen. Er machte Töne. Manchmal wurden daraus hübsche Melodien, die von schweren Beats zertrümmert wurden. Im Hintergrund lief auf zwei Leinwänden so etwas wie ein von den Tönen animierter Farb- und Formbrei. Darin zu sehen: ein metallenes Männchen mit Körper, Kopf und Gliedmaßen aber ohne Gesicht. Dafür mit Schlapphut, auf dem der Union Jack zu sehen war.
Die Figur bewegte sich sehr gelenkig in den Hüften. Meistens jedoch wirkte sie so ungelenk wie der Metallmann aus dem Zauberer von Oz. Diese Figur sollte der Co-DJ sein, eine künstliche Intelligenz mit Namen Young Paint. Der machte seine Sache ganz gut. Das einzige Problem: Es war nie zu erkennen, ob nun gerade Young Paint oder Actress die Zoschs und Rumms und Zischs produzierte. Gut, es muss ja nicht gleich wie bei Modern Talking sein, wo klar ist, wer Keyboard und wer Gitarre spielt. Aber leider blieb der Techno recht sphärisch und langweilig und niemand hatte Bock, sich dazu zu bewegen.
Irgendwann war es einfach vorbei. Das Restprogramm der transmediale, in dessen Rahmen das Konzert stattgefunden hatte, lief noch. Zwei Leute bewegten sich im Erdgeschoss zu den Rhythmen einer leibhaftigen DJane. Vielleicht war sie aber auch ein Hologramm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen