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Das große Rätsel der Olympia­qualifikation

Reck-Olympiasieger Zonderland könnte wegen absurder Regeln die nächsten Sommerspiele verpassen

Nur schwer zu bezwingen: Epke Zonderland siegt auch beim Weltcup in Cottbus Foto: dpa

Epke Zonderland ist Olympiasieger und seit zwei Wochen dreifacher Weltmeister am Reck. Dass er am Sonntag in Cottbus den Weltcup gewonnen hat, ist da eigentlich kaum eine Notiz wert. Weltcups sind im Turnsport nicht so wirklich wichtig, primär die Chance, ein bisschen Geld zu verdienen. Bisher zumindest.

Seit diesem Wochenende ist das anders: Das Turnier der Meister war die erste von acht Stationen, die zu den Olympischen Spielen nach Tokio führen kann. Die Betonung liegt auf kann, denn die Regularien des Weltverbandes FIG, die gerade in der x-ten Fassung auf 24 Seiten veröffentlicht wurden, enthalten so viele Konditionalgefüge, dass kaum jemand imstande ist, sie zu verbalisieren. Fragen zum Olympiaqualifikationsmodus lösten in Cottbus allenthalben verzweifelt wirkendes Lachen aus.

Den Zuschauern in der Lausitz-Arena kann das tatsächlich herzlich egal sein, aber auch Trainer und Athleten winken nur ab. Wer es wirklich wissen sollte, sind die Mitglieder der Technischen Komitees der FIG, die Verantwortlichen also. „Ich bin da irgendwann ausgestiegen. Es soll jemand geben, der mehr weiß, ich weiß aber nicht, wer das ist“, sagt der eine. „Ich habe wirklich keine Ahnung, es ändert sich ja ständig, niemand blickt da mehr durch“, sagt der andere. Sicher ist, dass dieser Qualifikationsweg, einer von insgesamt sieben möglichen, dem Turner persönlich einen Startplatz bringt, nicht einen Quotenplatz für sein Land. Auch deshalb war das Starterfeld in Cottbus so groß wie nie zuvor.

Epke Zonderland, der 32-jährige fertig studierte Mediziner, lächelt nur und überlässt die Beantwortung der Fragen seinem Trainer. „Sehr kompliziert“, beginnt Dirk Knibbeler, „es ist unser Plan B für Tokio.“ Ein extrem aufwendiger Plan B, denn um die Serie zu gewinnen, wird Epke schon im Februar im australischen Melbourne antreten, im März in Baku und in Doha. Wenn es perfekt läuft, hat er dann vier Weltcups gewonnen. Erst danach läuft der Plan A an, denn im Herbst 2019 ist in Stuttgart die WM. Hier wollen sich die Niederlande als Team für Tokio qualifizieren und damit es überhaupt Aussichten auf Erfolg gibt, brauchen sie Epke Zonderland, ihren Spezialisten für Barren und Reck. Ein Platz unter den ersten neun Mannschaften bedeutet, dass die Niederlande vier Turner nach Tokio schicken dürfen, wohlgemerkt vier Turner ihrer Wahl, die sie erst kurz vor Tokio treffen muss.

In diesem Fall greift eine Bedingung, die Knibbeler höflich als „seltsam“ bezeichnet: Turner, die Teil einer Mannschaft sind, die sich bei der WM 2019 qualifiziert, dürfen nicht den Qualifikationsweg der Weltcups an den Geräten bestreiten. Somit ergibt sich für Athleten wie Epke Zonderland ein Worst-Case-Szenario: Er verhilft dem niederländischen Team zur Olympiaqualifikation; scheidet damit – nach vier absolvierten Weltcups – aus dem Rennen um einen namentlichen Startplatz aus, und wird nicht nominiert, da angesichts der reduzierten Mannschaftsstärke in Tokio Mehrkämpfer und nicht Spezialisten wie er gebraucht werden. Heimtrainer Knibbeler nennt das ein „heikles Thema“, es sei dann „eine Frage des Vertrauens“ in den Verband, aber das habe er.

Epke Zonderland zeigte in Cottbus seine schwierigsten Flugkombinationen. Er brauche jetzt „unbedingt eine Pause“, gibt er zu, aber es sei wegen der Olympiaqualifikation „wirklich wichtig“ gewesen, zu gewinnen. Schafft es das Team nicht, wird er nach Stuttgart weitere Weltcups turnen müssen, Plan B eben.

Sandra Schmidt

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