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Archiv-Artikel

Tagebuch eines Bademeisters

Simon K. ist im Kreuzberger Prinzenbad Mädchen für alles: Rettungssanitäter, Sozialarbeiter, Müllmann, Aufpasser und Putzfrau. Eine so ruhige Saison wie 2005 hat er in 19 Dienstjahren noch nicht erlebt. Die Chronik eines nassen Sommers

AUFGEZEICHNET VON PLUTONIA PLARRE

31. April: Es ist wieder so weit. Heute haben wir aufgemacht. Statt Zopf trage ich jetzt Glatze. So kann ich mich mit den Leuten weniger in die Haare kriegen. Wir Bademeister sind schon seit zwei Wochen im Einsatz. Frühjahrsputz. Für unsere werten Gäste soll alles schön sauber und aufgeräumt sein. Bin dafür sogar eine Woche früher aus dem Urlaub zurückgekommen. Habe von nun an für die Dauer der Sommersaison Sechstagewoche.

1. Mai: Es fängt gut an. 30 Grad im Schatten, Tausende von Besuchern. Zur Feier des Kampftags der Arbeiterklasse haben wir eine Sonderaktion gestartet: Prinzenbad hilft Duisburger Polizisten beim Pinkeln. So eine lange Schlange hab ich vor unserem Personal-WC noch selten gesehen. Die hatten es ganz schon eilig. Ich auch. Will aufs Besucher-WC ausweichen, aber dann lässt mich der Erste netterweise vor. Das ist jeden 1. Mai so. Manchmal kochen wir für die Kollegen in Uniform auch Kaffee. Die leisten Berlin ja schließlich auch jedes Jahr Amtshilfe.

8. Mai: Ruhig und gemütlich. Es könnte ein bisschen voller sein. Aber so ist es immer mit dem Wetter: In der Vorbereitungsphase ist es schön. Wenn wir aufmachen: kalt und Ebbe in der Kasse. Das Spielchen mache ich nun seit fast 20 Jahren mit.

11. Mai: Endlich findet der Prinzenbad-Prozess statt. Wird auch Zeit. Ist schließlich schon drei Jahre her, dass die Leute ohne Eintrittskarte unser Bad gestürmt haben. Das sind Leute von der Sorte, die immer alles umsonst wollen: umsonst baden, umsonst mit der BVG fahren und so. Die haben auch ’ne Internetseite. Neugierig, wie ich bin, gucke ich mir die manchmal an. So erfährt man am besten, wann die nächste Demo bei uns ist. Noch steht keine an. Der Prozess ist eingestellt worden. Der Angeklagte muss 600 Euro zahlen. Ich hätte mir ein bisschen mehr gewünscht. Schließlich hatte einer der Polizisten einen Nasenbeinbruch. Und auf unseren Chef ist der Angeklagte mit einem Megafon losgegangen. Was soll’s. Hat sich erledigt.

21. Mai: Ich hoffe auf schönes Wetter. Oha. Es muss doch mal warm werden. Als Bademeister hat man schließlich auch eine Daseinsberechtigung. Der einzige Trost: Bei kaltem Wetter haben wir im Prinzen die meisten Besucher von allen Berliner Freibädern.

Herausragende Ereignisse im Mai: 1. Irgendwelche Idioten haben nachts im Bad Graffiti geschmiert. Haben auch versucht, die kleinen Aufsichtstürme ins Wasser zu werfen.

2. Einmal morgens um sechs schon Besucher im Plantschbecken. Dabei haben wir noch gar nicht auf.

3. Feuerwehr im Bad: Das Gebüsch hinter dem Mehrzweckbecken brennt an mehreren Stellen gleichzeitig. Wahrscheinlich Brandstiftung, von außen, durch den Zaun. Die Badegäste reagieren ausgesprochen hilfsbereit. Wollen mit Buddeleimern und Förmchen löschen helfen.

6. Juni: 13 Grad. Is das ’ne Saukälte. Wenn es so weitergeht, sitze ich bald mit Handschuhen und Mütze auf den Turm. Wir putzen wie die Bekloppten. So kommt wenigstens keine Langeweile auf. Das Bad ist so sauber wie nie.

Immerhin: Auf unsre Stammgäste ist wie immer Verlass. Die kommen bei jedem Wetter: morgens, mittags, abends. Immer dieselben. Die meisten erkenne ich schon von weitem an der Badehose. Auf der Straße würde ich an denen vorbeilaufen. Die wollen nur eines: ihre Bahnen ziehen.Und wehe, es schwimmt ihnen jemand rein. Dann kriegen die sich tierisch in die Wolle und kämpfen wie die Platzhirsche um ihre Reviere.

10. Juni: Rettungseinsätze: zurzeit null. Zu verzeichnen ist aber eine auffällige Häufung von Wadenkrämpfen. Ob das an dem großen Temperaturunterschied zwischen Luft (14 Grad) und Wasser (24 Grad) liegt? Ein guter Bademeister hilft da schon mal mit ner Beinmassage.

14. Juni: Ick gloob’s nicht. Das Wetter wird besser!

23. Juni: Die großen Ferien beginnen. Hitze! Wusste gar nicht mehr, wie das ist, zu schwitzen. Ausgerechnet jetzt ist das Mehrzweckbecken kaputt. Wir müssen zur Hälfte sperren. Ich gucke mir die Zeugnisse der Kids an. Für einige sind wir hier ja auch so eine Art Ersatzpapi. Viele verbringen die ganzen Ferien bei uns, weil ihre Eltern kein Geld zum Verreisen haben. Mit dem Ferienpass kommt man fast umsonst rein. Die Kids helfen abends auch gern beim Papieraufsammeln. Dafür gibt’s nämlich ’ne Freikarte. Unter einigen gibt es eine richtige Hackordnung. Ich nenne die die Papiersammler-Mafia. Wir versuchen deshalb, darauf zu achten, dass nicht immer dieselben drankommen. Gesammelt wird grundsätzlich mit den Händen. Früher haben wir Pikser ausgeteilt. Aber das war keine gute Idee. Danach hatten wir mehrere Feuerwehreinsätze. Einer von uns geht meistens mit. Es gibt ja Schlawiner, die denken: Ich lege mich auf die Wiese und lass die andern sammeln. Das hab ich früher auch so gemacht. Ein Kreuzberger Ghettokid, wie ich es mal war, kennt schließlich die Tricks.

24. Juni: 30 Grad. Das ist mal wieder typisch: Kaum große Ferien, geht der Machtkampf los, wer der Stärkere ist. Logischerweise natürlich immer wir. Aber unsere ausländischen Jugendlichen testen uns immer wieder aus. Nach dem Motto: Könnte ja sein, dass die Herren da oben auf dem Turm älter geworden sind.

Eine Clique aus dem Columbiabad treibt es besonders schlimm. Die Jungs sind der Meinung: Was wir im Columbia können, können wir im Prinzenbad auch. Aber damit haben sie sich bei uns geschnitten. Wir, die alten Hasen unter den Bademeistern, sind da ganz strikt: Wenn du einmal sagst, beim nächsten Mal fliegst du raus, musst du das knallhart durchziehen, sonst hast du für immer verloren. Die Kids legen jedes Wort auf die Goldwaage. Ganz wichtig ist: Immer schön ruhig bleiben. Bloß nicht aggressiv werden.

25. Juni: Hochbetrieb im Bad. Wieder unwahrscheinlich heiß. Das heißt: ganz schön stressig.

Ein Gewitter zieht auf. Man spürt’s an der Reaktion der Leute. Spricht man einen an, ob es sein muss, dass er sein Papier neben die Tonne schmeißt, kriegt man gleich pampige Antworten vom Feinsten. Ein paar Kinder sind über den Zaun geklettert. Die haben wir dummerweise erwischt.

Besondere Ereignisse im Juni:

1. An einem Tag über 30 Jugendliche rausgeschmissen. Rekordzahl. Die konnten sich nicht benehmen. In einigen anderen Sommerbädern hat es Massenschlägereien oder Messerstechereien. Bei uns nicht. (Sind wir stolz drauf.)

2. Einer unserer ältesten Stammgäste ist in der Cafeteria eingeschlafen und vom Stuhl gefallen. Dabei ist ihm sein künstliches Hüftgelenk verrutscht. Die Feuerwehr hat ihn abgeholt und ins Urban-Krankenhaus gebracht. Er muss wahrscheinlich operiert werden. Habe seinen Wagen nach Hause chauffiert. Seine Frau war ganz dankbar. Sie kann nicht fahren.

3. Juli: Das Wetter ist top. Haben zurzeit viel mit der Presse zu tun. RTL und ZDF drehen über das Prinzenbad Reportagen. Hier geht mal wieder die Post ab. Die Reporter bekommen das ganze Programm mit. Einer geht unseren türkischen Jugendlichen mit seinen Fragen so auf den Senkel, dass sie ihn samt Klamotten und Handy im Nichtschwimmerbecken zu Wasser lassen. Der Reporter will aber nicht, dass wir einschreiten. Sagt, es sei seine eigene Dämlichkeit gewesen.

Massenhaft Diebstähle an Tagen, wo es warm und voll ist. Es gibt immer noch Leute, die ihre Wertgegenstände auf der Wiese liegen lassen, wenn sie schwimmen gehen. Wenn sie zurückkommen, wundern sie sich. Wie kann man nur so gutgläubig sein? Wir machen doch nicht umsonst ständig diese Durchsagen.

20. Juli: Immer noch Ferien. Scheint sich wieder richtig einzuregnen. Manchmal komme ich mir vor wie Doktor Sommer von der Bravo. „Der geht mit mir, macht aber mit einer anderen rum …“ Einem älteren Stammgast ist die Frau abgehauen, weil er mal wieder sturzbesoffenen und mit einem blauen Auge nach Hause gekommen ist. Ich gebe ihm den Tipp: Erst mal in Ruhe lassen. Abwarten.

Von besonderer Bedeutung am 21. Juli: Nächtlicher Einbruch ins Kassenhäuschen. Die Kripo sagt, das Ganze sehe nach Beschaffungskriminalität aus. Die Täter haben wohl den Tresorschlüssel gesucht. Aber der war logischerweise nicht da. Drinnen alles verwüstet. Eine Melone, Kaffee, ein paar Bonbons und die Bildschirme sind weg.

5. August: Hin und wieder Regen. Ich verstehe nicht, was die Leute wollen. Alle schimpfen über das schlechte Wetter. Für deutsche Verhältnisse ist der Sommer doch ganz normal. Wenn es mal nicht fünf Wochen am Stück heiß ist, heißt es gleich: ein Scheißsommer. Nach meinem Empfinden ist das Wetter gar nicht so schlecht. Da lobe ich mir doch die Stammgäste. Die gehen mit Regenschirm zum Becken, gehen ins Wasser, kommen raus und gehen mit Regenschirm zurück zur Garderobe.

13. August: Der Iraner und unsere lieben Damen sind mal wieder da. Der Iraner hopst immer stundenlang vor den Startblöcken auf und ab, um sich aufzuwärmen. Dann springt er kopfüber ins Becken, schwimmt eine Bahn hin und wieder zurück und krabbelt raus. Die Damen gehen extra ins kalte Becken, um ihre Haut zu straffen und weil sie abnehmen wollen. Ich frage mich immer, wie das geht: Von meinen 95 Kilo verliere ich nie auch nur ein einziges Gramm. Zugegeben: Ich bin diesem Sommer auch nur zweimal im Wasser gewesen und auch das nur, um nachzugucken, wo das Leck im Mehrzweckbecken war.

19. August: Die Zeit vergeht wie im Fluge. Mir kommt es so vor, als hätten wir erst vor drei Wochen aufgemacht – und das trotz Sechstagewoche. Werde richtig sentimental bei dem Gedanken, dass die Saison schon wieder vorbei ist.

24. August. Genieße die frische Luft. In ein paar Tagen sitzen wir wieder in der Schwimmhalle. Hier draußen ist doch ganz anders Arbeiten. Ich glaube, so einen ruhigen Sommer wie diesen habe ich noch nie erlebt. Keine Probleme mit Grabschern, keine sexuellen Belästigungen, kaum Polizeieinsätze. Richtig besinnlich und gemütlich. Auch die Badegäste können sich gar nicht beruhigen, was für eine tolle Saison das war. Ich sag’s doch: Wir sind nun mal das ruhigste Bad von Berlin. Dank uns.