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Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Die Geschichte beruht auf einer wahren Gegebenheit: Ein junger Homosexueller wird 2012 in Lüttich nach einem Barbesuch von ein paar jungen Männern im Auto mitgenommen. Zwei Wochen später findet man seine übel zugerichtete Leiche auf einem Feld nahe der Stadt. Ein homophobes Hassverbrechen, das sich quasi aus dem Nichts mit ungeheurer Brutalität entlud und dessen Täter bald gefunden und zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Unter der Überschrift „Die Wiederholung“ stellt Milo Rau das Verbrechen nun mit schier unerträglichem Naturalismus auf der Bühne nach – und stellt drum herum auf vielschichtige Weise Fragen nach Aufgaben und Möglichkeiten des Theaters: wie das Theater überhaupt Wirklichkeit abbilden kann; ob es solche Taten zu verhindern in der Lage ist; wie lange ein Zuschauer eigentlich zuschauen kann, bevor er in ein Geschehen eingreift; ob das Theater als moralische Anstalt also überhaupt funktioniert. Im Mai beim Brüsseler Kunstenfestival uraufgeführt, ist der Abend nun in Berlin angekommen. (Schaubühne: „Die Wiederholung“, Premiere 1. 9., 20 Uhr).

Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, das ist ja schon seit Urzeiten DAS Theaterthema schlechthin. Schon Friedrich Schiller hoffte auf die läuternde Wirkung beim Zuschauer, wenn ihm auf der Bühne das Böse ganz ungefiltert vorgeführt würde: dass er dann daheim sich umso moralischer aufführen und zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft würde. Vielleicht sind ja seitdem einfach zu wenig Menschen ins Theater gegangen, um sich vom Bösen dort abschrecken zu lassen. Böse, wie die Welt noch immer ist.

Böse sind auch die Kinder, die in der Neuköllner Oper unter der Überschrift „Wolfskinder“ ab 30. 8. zu besichtigen sind – und zwar in einer zeitgenössischen Bearbeitung von Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“. Es geht um Kinder, die aus dem Krieg kommen, wo sie Heimat und Eltern verloren haben, also alles, was gemeinhin die schützenden Wände eines Zuhauses ausmacht. (Neuköllner Oper: „Wolfskinder“, 30. 8.–5. 9., jeweils 20 Uhr).

Wie aus Wut dann aber die widerständige Kraft für die eigene Rettung erwächst, das führt die Schauspielerin Anita Vulesica mit ihrem Abend „Mother“ vor, der am 2. 9. im BKA zu sehen ist. Vulesica, die eigentlich zum Ensemble des Deutschen Theaters gehört (wo der Abend 2016 auch herausgekommen ist) zeigt hier in einem furiosen autobiografisch inspirierten Solo (und mit Hilfe von 27 toll performten Madonna-Songs), wie man against all odds die Kämpfe des Lebens gewinnen kann. (BKA: „Mother“, 2. 9. , 20 Uhr).

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