wortwechsel: Identitätsgeschacher: Gewalt und linke Elite
Reale Lager entstehen in Europa – und „die Linken“ sonnen sich in internen Lagerkämpfen? Spießige Kosmopoliten, narzisstische Straßenhooligans – Privilegierte der Mittelschicht?
Differenziert
„Linke Identitätspolitik und rechte Hegemonie“, taz vom 7./8. 7. 18
Danke, Andreas Fanizadeh! Endlich mal in der taz ein differenzierter Beitrag zum Thema Flucht und Migration. Ja, „wir“ sind nicht an allem schuld, was Menschen dazu bringt, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Oft sind es „korrupte oder staatsterroristische Regime“ mit politischen Eliten, die nicht an der Entwicklung ihrer Länder, sondern nur an Selbstbereicherung interessiert sind. Dies zu leugnen bedeutet, all denen in den Rücken zu fallen, die vor Ort für eine Veränderung dieser Verhältnisse kämpfen.
Brigitte Reinhardt, Bad Honnef
Emanzipiert
Graphic Novel „Liebe auf Iranisch“ von Jane Deuxard/Zac Deloupy, taz vom 7/8. 7. 18, Seite 16
Ja, eine nette Graphic Novel, „Liebe auf Iranisch“ von Jane Deuxard und Zac Deloupy – und Bobak hat die Protagonistin überzeugt, „dass Sex vor der Ehe keine Sünde ist“. Jedoch mit der Angst, schwanger zu werden, lässt er sie allein. Zumindest ist sie es, die sich einmal im Monat den Schwangerschaftstest in der Apotheke besorgt. Und wie mag die Geschichte weitergehen, wenn sie dann tatsächlich schwanger ist? Gerne würde ich die KünstlerInnen fragen, ob Bobak zur Abwechslung mal Präservative besorgt und benutzt – diese lassen sich ja durchaus in den lustvollen Sexualakt einbeziehen – dann gäbe es weniger „Furcht“ für die Protagonistin und einen Schritt in die gemeinsame Verantwortung, auch bei der Liebe!
Jetzt könnte mir unterstellt werden, dass ich einen fröhlichen Anlass mit einer Negation störe – frei nach Sara Ahmed („Feministisch leben“), die Sie kürzlich in einem Interview vorstellten.
Ingritt Sachse, Bonn
„Viele Linke machen sich etwas vor“,
taz vom 7./8. 7. 18
Neuankömmlinge
„Linke Werte sind ein Teil des herrschenden Apparats geworden. Sie beherrschen die öffentliche Meinung.“ Welche sogenannten linken Werte herrschen denn in unserem Apparat? Und welche linke Meinung beherrscht die öffentliche Meinung? Habe ich da etwas verpasst? Diese Aussagen reden doch rechtspopulistischen Deutungen das Wort. Dazu passt die Aussage: „Viele empfinden es verständlicherweise als ungerecht, dass Neuankömmlinge Anspruch auf dieselben Leistungen haben, während sie selbst viele Jahre in die Sozialkassen eingezahlt haben.“ Wieso „verständlicherweise“? Wie soll es denn sonst funktionieren? Zustimmen würde ich der Soziologin Cornelia Koppetsch in der Aufforderung, sich zu engagieren, sowie ihren Beobachtungen zur Geschlechtergleichheit. Sabine Sabranski, Berlin
Kosmopoliten?
Frau Koppetsch hat in urbanen Zentren Kosmopoliten gefunden oder richtiger: Ihr ist eingefallen, bestimmte akademische Mittelschichtler als Kosmopoliten zu bezeichnen („welterfahren“). Was ist denn mit den Menschen und Familien, die für (zum Beispiel) deutsche Unternehmen in der ganzen Welt tatsächlich Wert schöpfen: Monteure, Servicetechniker, Handelsvertreter, Beratungsingenieure, Baustellenleiter, Niederlassungsleiter, Einkäufer? Und was ist mit Journalisten, Missionaren, Schwestern, Lehrern, Ausbildern, Ärzten, Botschaftspersonal, Soldaten, Söldnern (aller Art), Fußballern? Diese haben Sprachkenntnisse, Bekanntenkreise und Welterfahrungen, die mit denen der von Frau Koppetsch betrachteten Population überhaupt nicht zu vergleichen sind. Glaubwürdigkeitshalber schiebt sie „ihren“ Kosmopoliten rasch Spießigkeit und Angepasstheit hinterher.
Wahrscheinlich wird die taz gerne in der urbanen Mittelschicht und im herrschenden Apparat gelesen – um so lieber, je öfter taz-Redakteure sie (und leider auch sich selbst!) als Kosmopoliten, Tolerante, Weltoffene, Akademiker, Gatekeeper, Kreative, Selbstverwirklichte, Diversive, Elite umschmeicheln. Ulrich Viebahn, Darmstadt
Zwei Lager
Werte wie Vielfalt und Toleranz sind nicht ausschließlich links zu verorten, sondern es sind Werte, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. Sie gehören zu einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, die ihre Verfassung nicht nur als Feigenblatt benutzt.
Genau das macht den momentanen Rollback so gefährlich. Er kratzt permanent an unserer Verfassung und unserer Freiheit. Ängste eines aufkeimenden Faschismus werden wach. Es ist ein gesellschaftlicher Wendepunkt, dass freiheitliche Werte nun ausschließlich in die linke Ecke gedrängt werden, und jeder, der sich gegen Faschismus bekennt, als Linksextremist betitelt wird. Die beschriebenen Großstadteliten kenne ich leider sehr gut. Links sind sie nicht mehr, eher konservativ-spießig. Ein Beispiel für diese Entwicklung sind die Grünen. Sie haben es sich in der konservativ-spießigen Verlogenheit des Bildungsbürgertums gemütlich gemacht. Mit „links“ hat das für mich nichts mehr zu tun. In unserer Gesellschaft gibt es momentan zwei Lager: Vielfalt, Freiheit und Inklusion gegen Ausgrenzung; Kontrolle und Hass. Reden ist schwierig: Wie redet man mit Menschen, deren Argumente sich ausschließlich aus Ängsten und Vorurteilen zusammensetzen? Christine Zander, Hamburg
Unvorstellbar
„Save our souls“, taz vom 9. 7. 18
Das ist doch unvorstellbar: ständig ertrinken Mitmenschen im Mittelmeer oder leben unter so unzumutbaren Verhältnissen in diesem so hoch zivilisierten Europa in Lagern … Da streiten sich Politiker in einer Sandkastenkinderart, anstatt sich wenigstens in Europa zusammenzutun und handelnd zu sagen: „Wir machen nun Schluss mit den Waffenlieferungen in die kriegführenden Länder, Schluss mit der Unterstützung korrupter Regierungen, ab sofort hören wir auf zu lügen und suchen Wege, die endlich eine menschenwürdige Lebensgrundlage für alle neu zu gründen hilft. Das bedarf nur eines Entschlusses und dann eines „Ja“-Sagens in der Tat. Das geht doch! Warum nicht?
Sabine Hönig, Freiburg
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