Jan-Paul Koopmann Popmusik & Eigensinn: Damals, am Ende der Welt
Wie oft Hans Narva im Knast war, habe ich vergessen, seinen richtigen Namen auch. „Hans Tomato“ war jedenfalls einer seiner falschen. Den hat er bei den Inchtabokatables getragen – und bei Herbst in Peking, der Ostrock-Legende mit der „Bakschischrepublik“.
Und damit stehen immerhin die Eckdaten: Narva heißt eigentlich anders, ist Musiker und gehört zu dieser schwer sehnsüchtigen und dabei doch schon vorab resignierten Kunstwelt, die sich von den letzten Tagen der DDR bis weit in die 90er gehalten hat.
Eingesperrt hat man ihn da als Dissidenten, mal wegen Schlägereien mit anderen Jugendlichen, mal wegen des Verdachts (!) auf Vorbereitung (!) der Republikflucht. Und mal wegen einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Wiedergutmachung hat er juristisch nie verlangt, sich auch in der Kunst nie als ein Opfer der Verhältnisse inszeniert. Und überhaupt: Der freie Westen hat ihn ja auch gleich wieder eingesperrt. Weil er das mit dem besoffenen Autofahren nicht lassen konnte. Naja.
Zurzeit tourt er mit seiner Band Hands Up – Excitement!, eine klassische Rock-Besetzung plus diese Streicher und Klavier, die Narva meist im Hintergrund klingen lässt, und die so prägend sind für diese Grundtraurigkeit, die sich auch durch seine fetzigsten Stücke noch zieht. Die Inchtabokatables lassen grüßen – und zwar die guten, poetischen Folk-Inchies, nicht die Mittelalterkapelle, als die sie ganz zu Unrecht in Erinnerung geblieben sind.
Einer der schönsten Songs von Hands Up – Excitement! vertont ein Gedicht von Thomas Brasch: „Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber / wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber / die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber / die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber / wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber / wo ich sterbe, da will ich nicht hin: / Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“
Damit hat Brasch das Wesen dieses deutschen Jenseitsfolks von außen punktgenau getroffen (wäre der Begriff nicht anderweitig besetzt, müsste man eigentlich Anti-Folk sagen), während die Musik hier einmal schlicht und klar durchexerziert, was sie mit fremder Sprache anstellen kann.
Sie bäumt sich auf, als eindringliches Flüstern – peitschend dieses ständige „aber“. Und nach dem letzten Vers jault die Geige und überführt das Gebilde in eine Rocknummer, als wäre nichts gewesen. Schön ist das, tief traurig, aber schön.
Und es ist ganz sicher auch keine naive aus-dem-Bauch-Folklore und auch nichts aus dem Baukasten, sondern das behutsam komponierte Traditional eines Kulturkreises, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Warum das egal ist, heißt es anderswo auf der Platte: „Reality is not more than an agreement / Between six billion people around.“
Sa., 16. 6., 20 Uhr, Pferdestall, Bremerhaven
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen