berliner szenen: Nix Schule, nix gelernt. Google?
Seit Wochen steht am Gleis der U8 am Rosenthaler Platz ein circa 30-jähriger Mann und bittet lautlos um Geld. Wenn ihm jemand Münzen reicht, steckt er sie wortlos ein, wenn Passanten ihn ignorieren, verflucht er sie mit grimmigen Grimassen. Morgens, wenn ich zur Arbeit hetze, steht er bereits neben dem Fahrscheinautomaten am Anfang der Treppe. Wenn ich fünf Stunden später wieder auf das Gleis zurückkomme, befindet er sich immer noch an derselben Stelle. Ich habe ihm noch nie Geld gegeben, entschuldige mich aber jeden Morgen und Nachmittag dafür und wünsche ihm einen guten Tag. Er hat noch nie reagiert.
Heute kann ich ihn morgens nicht entdecken. Auch am Nachmittag steht er nicht wie sonst neben dem Automaten. Ich setze mich auf die Bank. Mit einem Mal steht er neben mir, zückt sein Handy und fragt, ob ich ihm helfen könne, ins Internet zu kommen. Zumindest meine ich, dass es das ist, was er will. Er sagt: „Nix Schule, nix gelernt. Google?“ und drückt mir sein Handy in die Hand. Es ist auf Türkisch eingestellt. Ich sage: „Ich kenne mich mit dem Handy nicht aus.“ Er aber wiederholt nur: „Nix Schule, nix gelernt.“ Und: „Google?“
Ich würde ihm gerne erklären, dass ich zwar in der Schule war, mit dem Handy aber trotzdem nicht groß helfen könne, da ich technisch vollkommen unbegabt bin. Aber ich befürchte, dass er mich nicht verstehen und annehme wird, ich wolle einfach nichts für ihn tun. Um meinen guten Willen zu zeigen, klicke ich mich auf der Suche nach den Spracheinstellungen durch zig Fahrkartenautomaten-Selfies. Irgendwann finde ich durch Zufall die WLAN-Einstellungen. Ich logge ihn in das WIFI der BVG ein und sehe ihn fragend an. Anscheinend war das alles, was er wollte: Er klopft mir auf die Schulter und stößt einen Jubelschrei aus. Eva-Lena Lörzer
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