: Die zwei Päpste der Linken
In den Fussstapfen Joseph Ratzingers begeistern Oskar Lafontaine und Gregor Gysi vor dem Kölner Dom die Mühseligen und Beladenen. Vorher stellen sie das 100-Tage-Programm der Linkspartei vor
Von Pascal Beucker
Unlängst becircte auf dem Roncalliplatz in Köln noch Joseph Ratzinger die katholische Jugend. Doch an diesem Mittwoch Abend gehört die Bühne vor dem Dom einem anderen bedeutenden deutschen Katholiken: Oskar Lafontaine. Das Timing ist perfekt. Pünktlich mit seinem Auftritt beginnen die Glocken der Kathedrale zu läuten. Mit sichtlichem Vergnügen wartet der linke Heilsbringer erst einmal den ohrenbetäubenden Lärm ab, bevor er zu seiner Predigt ansetzt: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Das Zitat von Victor Hugo, das auch die Wahlplakate Lafontaines ziert, ist die Kernbotschaft seiner Rede.
Auch wenn ihre Zugkraft noch nicht ganz der des Woityla-Nachfolgers entspricht: Immerhin knapp über tausend Mühselige und Beladene sind dem Ruf der Linkspartei gefolgt, um am Mittwoch Oskar Lafontaine und auch Gregor Gysi live zu erleben – zur Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel, die eine Woche vor dem Papst hier war, kamen auch nicht mehr. Es ist das einzige Mal in diesem Wahlkampf, dass die beiden Spitzenkandidaten der umbenannten PDS gemeinsam in NRW auftreten.
Ein interessantes Experiment: Wird der eine dem anderen die Schau stehlen? Gysi spricht vor Lafontaine und frotzelt zu Beginn seiner Rede: „Ich möchte wissen, was er noch zu sagen hat, wenn ich fertig bin.“ Es ist ein ungleiches Doppel, was sich hier zusammen gefunden hat, um die Verhältnisse im Bundestag zum Tanzen zu bringen: der Sozialdemokrat aus dem Westen und Demokratische Sozialist aus dem Osten, nun gemeinsam vereint im Kampf gegen die „neoliberale Allparteienkoalition“ aus SPD, Union, FDP und Grünen. Rhetorisch brillant sind sie beide, doch der eine liebt die große Geste des Volkstribuns, der andere besticht mehr durch selbstironische Schlagfertigkeit. Luxuslinke? „Ein Linker muss nicht arm sein, aber er muss gegen Armut sein“, antwortet Gysi klug unter großem Applaus.
Aber auch Lafontaine begeistert mit seinen Attacken auf die politische Konkurrenz: Rot-Grün und Schwarz-Gelb hätten längst ihre Glaubwürdigkeit verspielt, ruft er aus. Bei der Wahl zwischen Merkel und Schröder ändere sich nur die Frisur, „beide werden Ihnen weiter Ihr Geld kürzen“. Und die Grünen? Das sind für ihn nach deren Zustimmung zu Kriegseinsätzen und Sozialabbau nur noch: „die Verwelkten“. Die Steilvorlage eines Zwischenrufers lässt er hingegen ungenutzt: „Oskar, sag doch mal was zu Studiengebühren.“ Der Ruf ist unüberhörbar, doch „Oskar“ ignoriert ihn. Dabei hätte er hier punkten können, lehnt doch die Linkspartei als einzige sowohl die von Union und FDP propagierten allgemeinen Studiengebühren ab, wie auch die von SPD und Grünen bevorzugten Gebühren für so genannte Langzeitstudierende.
Kurz vor ihrem Auftritt auf dem Roncalliplatz hatten die beiden linken Frontmänner bereits Journalisten im nur wenige Meter entfernten Senats-Hotel einen bunten Strauß von Forderungen präsentiert, für die sich die zukünftige Bundestagsfraktion in ihren ersten hundert Tagen vorranging einsetzen will: die schrittweise Abschaffung von Hartz IV, die Einführung eines Mindestlohnes, mehr Steuergerechtigkeit, die Absenkung der Mehrwertsteuer bei Arzneimitteln und Handwerksleistungen, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, gleiche Bildungsstandards in allen Bundesländern, die sofortige Beendigung des Afghanistan Einsatzes der Bundeswehr und noch einiges mehr. Ein insgesamt nicht gerade unambitioniertes Programm.
Darüber hinaus kündigten die beiden Spitzengenossen noch einen Vorstoß in Sachen direkter Demokratie an: Die Linkspartei will eine Initiative im Parlament starten, dass Bundestagswahlen mit Volksabstimmungen verbunden werden. Jede Fraktion solle künftig den Wahlberechtigten jeweils eine Frage vorlegen können, nachdem das Bundesverfassungsgericht zuvor festgestellt hat, dass sowohl ein zustimmendes als auch ein ablehnendes Ergebnis verfassungskonform wäre. „Ich glaube, dass wir so etwas brauchen, um Demokratie attraktiver zu machen“, erläuterte Gysi.