piwik no script img

Sie verrät Vater und Religion

Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ in der Regie von Karin Beier am Hamburger Schauspielhaus

Von Katrin Ullmann

3.000 Dukaten müssen her. Jetzt sofort. Denn Bassiano will die reiche Portia heiraten. Und dafür muss er erst mal investieren. Antonio, Shakespeares titelgebender „Kaufmann von Venedig“, hilft ihm gern. Leihen muss er sich das Geld jedoch von seinem verhassten Gegenspieler, Shylock, dem zinswuchernden Juden. Dessen Kapital und Verbindungen man braucht, dem man wie seinen Glaubensbrüdern aber ansonsten einen Platz im Ghetto zuweist, sie als Fremde stigmatisiert. Das Pfand, das der Christ Antonio bei ihm für die geliehenen Dukaten hinterlegen muss, ist nicht weniger als ein Pfund seines eigenen Fleischs. Doch, keine Sorge, etliche Schiffe sind unterwegs, der bevorstehende Warenhandel wird die Schulden tilgen. Und die eigene Melancholie tut den Rest.

Was soll’s, scheint dieser Kaufmann zu denken und riskiert sein eigenes Wohl in das Liebesglück des lebenshungrigen Freundes. Mit viel Spektakel und fantastischen, furiosen Kostümen von Eva Dessecker inszeniert Intendantin Karin Beier das Shakespeare-Drama um Kapitalismus und Recht, Liebe und Rassismus. Nach „Tartare Noir“ bringt Beier damit ihre zweite Regiearbeit der Spielzeit auf die Bühne des Hamburger Schauspielhauses – in einer modernen, sprachklugen Übersetzung von Werner Buhss.

Der Mensch, das Individuum wird an diesem Abend als Kunstwerk gefeiert, schon das Opening gleicht einer Modenschau selbstverliebter Fashion-Victims. Jeder darf mal durch den rohen Guckkasten stolzieren: ob in Unterhose, golden verschleiert, mit rotlockiger Turmfrisur oder im Kunstfellkostüm. Diese – mit Schlagwerk und Klarinette (Yoko Suzuki und Vlatko Kucan) untermalte – Welt ist eine bunte Bühne.

Carlo Ljubek hat darin die wohl traurigste Rolle, die des „Kaufmanns von Venedig“, angesiedelt irgendwo zwischen Depression und ungelebter Liebe. Viel hat er nicht zu verlieren, denn vom gekränkten und jetzt entsprechend zynisch agierenden Shylock (grandios brodelnd: Joachim Meyerhoff) bleibt er erstaunlich unbeeindruckt. Tänzelnd und spöttelnd erlaubt sich Shylock jenen „kleinen Scherz“, jenen fatalen Deal und wiegt sich – als Antonios Schiffe verschollen bleiben – Messer wetzend auf der Gewinnerseite.

Am Ende wendet sich das Blatt – und die Rechtsprechung gegen den Juden. Doch bis dahin füllen Wortgefechte und Liebesschwüre, Weltansichten und Konvertierungen, Toleranzbekundungen und Rassismusoffenbarungen das Spielfeld. Johannes Schütz hat dieses als Bühne auf der Bühne gebaut, auf und unter einem weißen Rohbau finden Basketballspiele, Erziehungsmaßnahmen und Ratespiele statt. Da bangt Angelika Richter als stolze und eigentlich so tolerante Portia um den richtigen Freier – „bitte keine unüberwindbaren ethnischen Risiken und Nebenwirkungen in meinem Ehebett!“–, da singt Jan-Peter Kampwirth als Lanzelot ein herzzerreißendes jiddisches Lied und da glänzt Meyerhoff rollendistanziert und herrlich klugscheißend mit einem Vortrag zur „Geburtsstunde der europäischen Differenz“ mitsamt kunsthistorischen Verweisen auf Klimts „Athene“ über Rembrandts „Goldhelm“ bis Böcklins „Toteninsel“.

Bald darauf, in einem wilden Aufstand, wird das Bühnenbauwerk eingerissen. Bruchstücke fliegen ins Parkett und das entstandene karnevaleske Chaos erlaubt Jessica (Gala Othero Winter), der Tochter Shylocks, die Flucht. Sie wird und will aus Liebe Christin werden. In der abschließenden Gerichtsszene besetzt Beier auch die Rolle des Dogen von Venedig mit Gala Othero Winter.

Tänzelnd und spöttelnd erlaubt sich Shylock jenen „kleinen Scherz“, jenen fatalen Deal

Stumm wohnt der Doge dem Freispruch Antonios und damit der Demütigung und Zwangskonvertierung Shylocks bei. Der doppelte Gewissenskonflikt – Jessica verrät Vater und Religion –, den Beier die Figur durchleben lässt, mündet in einer körpergewaltig ausgefochtenen Identitätskrise.

Winter durchzuckt die Brachen des Bühnenraums, tanzt aufgewühlt und in großer Exaktheit einen ekstatischen Tanz. Sie zittert, vibriert und vermummt sich schließlich. „Man sollte das Entsetzen nicht unterschätzen“, heißt es dazu aus dem Off. „Man sollte die Bangnis der Herzen nicht unterschätzen, die kleine Erschütterung im Herzen, den kleinen Funken, kurz bevor man begreift. Kurz bevor man die Kraft der Strömung erfasst, kurz bevor man das Ausmaß der Welle erahnt.“

Der eingespielte Text „Wir Wellen“ von Mariette Navarro beschwört die Möglichkeit einer kollektiven Erhebung. Erzählt die zerrissene Figur Jessicas also vom Anfang einer Radikalisierung? Nach gut eineinhalb Stunden klug, spielfreudig, aber weitgehend unpolitisch erzähltem Shakespeare beendet Beier ihre Inszenierung völlig unvermittelt mit einer ungefähren, dystopischen Szenerie. Kunstvoll zwar, aber zugleich kryptisch und pathetisch. „Noch ist Frühling“, heißt es da. Ein arabischer womöglich. Was, wenn es Sommer wird?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen