berliner szenen: Nur ein Traum war das Erlebnis
Was passiert schon, wenn man an einem gewöhnlichen Tag durch Berlin von A nach B geht? Das Übliche eben. Überfüllte U-Bahnen, Polizisten, die dir ein Knöllchen überreichen, weil du gerade mit dem Fahrrad über die rote Ampel gefahren bist. In der Regel also nichts Besonderes.
Doch letztens gab es diesen Vorfall, der mich an Christian Morgensterns „Die unmögliche Tatsache“ erinnerte. Ein Motorrad war in ein parkendes Auto gefahren. An der Unfallstelle war niemand zu sehen, außer zwei Streifenpolizisten. Der eine stand gelangweilt herum, und der andere inspizierte immer wieder die Delle, in der der Motorradreifen steckte, leuchtete mit der Taschenlampe drauf, trat einen Schritt zurück, schaute sich die Sache von Weitem an, beugte sich wieder näher heran und schaute sich die Delle an. Er schien irritiert, und es machte den Eindruck, als ob er sich immer wieder über das, was er hier vorgefunden hatte, vergewissern müsste. Als ob er sich gerade, in den Worten Morgensterns, die Frage stellte: „Ist die Staatskunst anzuklagen, in Bezug auf Kraftfahrwagen? Gab die Polizeivorschrift hier dem Fahrer freie Trift?“ Und man doch eigentlich zum Ergebnis kommen müsste: „Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“
In solchen Moment denke ich mir, diese Stadt, sie ist nicht wie alle anderen. Sie hat den Namen Hauptstadt wirklich verdient! Neulich bin ich an diesem völlig ramponierten Auto vorbeigelaufen, welches ganz ordentlich in die Reihe der anderen Autos eingeparkt stand. Ich stellte mir den nächsten Wahlflyer der Berliner CDU vor. Darauf ein Foto von dem ramponierten Auto und darunter die Botschaft: „Schluss mit der Katastrophenpolitik des roten Senats! Für eine schöne Hauptstadt, wählt uns!“
Uta Chotjewitz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen