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berliner szenenSinge, wer den Blues hat

Normalerweise treffen sie sich unter dem großen Baum am Reuterplatz. Aber mittlerweile ist es zu kalt, um im Freien direkt neben dem Kinderhort zu pausieren, also sind die Fahrer mit den großen praktischen Warmhaltekästen auf den Rücken auf warme Räume aus. Oft halten sie sich in ihren Mikropausen in den kleinen Foyers der Restaurants auf, bei denen sie das Essen für andere abholen. Ein bisschen Wärme, ein kurzer Schnack. So auch im „Mais“, einem netten Vietnamesen, der im Sommer Außengas­tronomie bietet, im Winter die Gäste drinnen mit asiatischer Fahrstuhlmusik quält.

Ich sitze am Tisch und warte auf meine Pho. Zwei Deliveroo-Fahrer stehen in Türnähe und unterhalten sich. Auf Englisch. Zwei junge Männer, der eine in etwas zu neu aussehenden Schuhen, beide in Lieferantenjacken. Der etwas Jüngere kommt aus den Niederlanden, der andere aus den USA. Alabama, dann New York, jetzt Berlin, des günstigen Lebens wegen und um irgendwas mit Musik zu machen. Der eine jobbt, um sein Aussteigerjahr zu finanzieren, der andere tritt bei Open Mikes auf, allein mit Gitarre, aber davon leben kann er auch nicht. Hard work, hard-knock life. Wenn man den Blues hat, sagt er, empfiehlt es sich, den Blues auch zu singen. Der Blues hilft nämlich gegen den Blues. Hm, meint der andere: Mir ist die Musik zu alt und schematisch. Die funktioniert doch wie eine Romantische Komödie – immer dasselbe Schema. Der aus den Südstaaten zuckt mit den Achseln: Das ist so, wie sich grundsätzlich keine Schwarz-Weiß-Filme anzusehen.

Worauf es ankommt, ist die Varianz, erklärt er. Same same, but different. Im festen Rahmen die Freiheit haben, es anders zu machen. Der andere denkt kurz darüber nach, muss dann aber Tüten mit dampfendem Plastik in seinen quadratischen Rucksack verstauen. Die Pause ist zu Ende. René Hamann

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