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Archiv-Artikel

„Ein Volk steht ja nicht ohne Grund auf und schreit nach der Wende“

SPORTKADER Fußballtrainer Hans Meyer über Disziplin und Kreativität im Fußball, das verzerrte Bild der Westler vom Leistungssport im Osten – und warum aber in der DDR auch nicht alles gut war

Hans Meyer

■ Mensch: Hans Meyer wurde am 3. November 1942 in Briesen, dem heutigen Bilin in Tschechien, geboren. Er ist Vater dreier erwachsener Kinder und hat acht Enkel. Nach 40 Jahren Ehe ließ sich Meyer im August 2006 von seiner Ehefrau Annelore scheiden. Er lebt heute mit seiner neuen Lebensgefährtin in Nürnberg.

■ Spieler: In der DDR-Oberliga wurde er als Verteidiger des FC Carl Zeiss Jena 1968 und 1970 Meister.

■ Trainer: 1971 wurde Meyer Trainer des FC Carl Zeiss Jena. Drei Mal führte er den Club zum Erfolg im FDGB-Pokal. 1981 stand er mit den Jenensern im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger (1:2 gegen Dinamo Tbilissi). Nach der Wende war Meyer u. a. Trainer in Chemnitz, bei Union Berlin und in den Niederlanden bei Twente Enschede. 2001 führte er Borussia Mönchengladbach zurück in die erste Bundesliga. 2007 holte er mit dem 1. FC Nürnberg den DFB-Pokal. Er ist er einzige Trainer, der den Pokal-Wettbewerb in beiden deutschen Staaten gewinnen konnte.

■ Spitzel: Unter dem Decknamen „Hans Schaxel“ (Aktenzeichen X/1613/80) wurde Meyer, der seit 1986 Mitglied der SED war, als sogenannter Gesellschaftlicher Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes geführt.

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr Meyer, gibt es so etwas wie Ostfußball?

Hans Meyer: Da gab es immer ein paar Klischees. Sportjournalisten im Westen haben diesen Ostfußball, diesen Staatsprofessionalismus, oft als Roboterfußball bezeichnet, als athletisch starkes Spiel ohne jede Kreativität. Ich weiß natürlich, dass viele das einfach so dahergesagt haben, ohne zu wissen, was diesen Ostfußball noch ausgemacht hat.

Es gab also Kreativität?

Kein Fußballtrainer der Welt wird verhindern, dass sich ein Spieler kreativ entwickelt. Auch als Osttrainer weißt du doch, dass du es nicht nur mit Disziplin und körperlicher Fitness schaffst. Natürlich hast du die Jungs gerne gehabt, die etwas machen, was die anderen nicht machen können. Ein Achim Streich, ein Peter Ducke, ein Andreas Thom, das waren kreative Typen. Also vergessen Sie das: Kreativität wurde nicht gezielt unterdrückt.

So richtig erfolgreich war der DDR-Fußball im internationalen Vergleich ja nicht.

Wir waren einmal bei einer Weltmeisterschaft dabei – 1974 mit diesem einen legendären Spiel. Wir haben drei Mal Medaillen bei Olympischen Spielen gewonnen. Bei Olympischen Spielen! Da spielt Fußball ja nicht gerade eine große Rolle. Das Erreichen der Zwischenrunde gegen Australien, die BRD und Chile. Das war schon der Höhepunkt. Was oft unerwähnt bleibt, sind die Erfolge der Klubmannschaften. 1974 der Erfolg von Magdeburg im Finale des Europapokals der Pokalsieger. 1987 stand Lok Leipzig ebenfalls im Endspiel gegen Ajax Amsterdam. Mein FC Carl Zeiss Jena war 1981 gegen Tbilissi auch im Finale. Da wird auch gerne etwas weggelassen.

Trotz alledem, die große Erfolgsgeschichte ist das nicht gerade.

Da wird gerne gesagt, das habe daran gelegen, dass wir so abgeschirmt waren und uns die internationalen Kontakte fehlten.

Stimmt das vielleicht nicht, Herr Meyer?

Das ist Unfug. Die Clubs, in denen Nationalspieler waren, die haben alle international gespielt. Die Nationalmannschaft hat immer einen Riesenaufwand betrieben, hat viele Testspielreisen gemacht. Die waren unterwegs in Mexiko, in den Vereinigten Staaten. Wir haben uns immer gefragt, wie können die sich das leisten?

Und woran lag nun der mäßige Erfolg?

Wir haben auf eine andere Weise im eigenen Saft geschmort. Hans-Ullrich Thomale, der Lok Leipzig ins Europapokalfinale geführt hat, hat nicht nur keinen Spieler aus dem Westen verpflichtet, er hat nicht nur keinen Russen, Tschechen oder Polen verpflichtet, er hat nicht einmal einen Spieler aus Rostock haben können, der ihm gefallen hat. Ich musste mich über Jahre hinweg damit beschäftigen, junge Spieler heranzuziehen, wenn ein erfahrener Spieler seine Karriere beendet hat. Das war eine andere Arbeitsweise, die auch interessant war. Aber es war auch eine Wettbewerbsverzerrung ohne Ende im Vergleich zu Clubs, die damals schon alle Möglichkeiten hatten.

Und dann gab es da noch die Konkurrenz zu den anderen Sportarten.

Wenn es an die Sichtung ging, dann stand der Fußball an achter oder neunter Stelle, obwohl er immer die Nummer eins war. Als wir einmal einer Gruppe von zehn-, zwölfjährigen Nachwuchsturnern in der Halle beim Fußballspielen zugesehen haben, habe ich die Jungs hinterher gefragt: Jetzt mal ehrlich, turnt ihr lieber oder spielt ihr lieber Fußball? Und alle, aber auch alle haben gebrüllt: Fußball!

Aber da waren sie schon sortiert.

Ja, da waren zwei, drei dabei, die hätte ich sofort haben wollen, so gut, wie die sich bewegt haben. Technisch besser als einige von meinen Spielern. Aber das ging dann schon nicht mehr.

Daran, dass die Fußballer in der DDR eingesperrt waren, lag es also nicht, dass der Anschluss an die großen Fußballnationen nie geschafft wurde.

Das passt natürlich ganz gut ins Bild, das man sich vom Ostfußball macht. Und vielleicht spielt das auch eine Rolle, dass wir uns ein bisschen isoliert gefühlt haben. Wir sind ja auch nicht zum Trainingslager nach Teneriffa gefahren, sondern in die Tschechoslowakei.

Und was ist dran am Bild vom Ostfußballer als rackerndem Malocher?

Wir haben schon intensiver und härter gearbeitet als im Westen. Und doch darf man nicht vergessen, dass die Spieler mit unterschiedlichen Anlagen ausgestattet sind. Der sowjetische Pädagoge Makarenko sagt: die Erziehung ist alles, die Anlage ist nichts. Da kann man doch nur herzlich lachen.

Nach dieser Devise haben die DDR-Trainer also nicht gearbeitet?

„Man müsste fragen: Warum sind die meisten nicht abgehauen? Weil es ihnen gut ging“

Natürlich nicht. Das ist wieder so etwas, was in das Bild passt, das von der DDR gezeichnet wird. Wenn du am Niederrhein aufgewachsen bist und keine Verwandten drüben hast, woran denkst du denn, wenn jetzt von der DDR die Rede ist: an Mauer, Tote an der Mauer, an Stasi, Lug, Trug und Betrug und Unfreiheit ohne Ende.

Kennen Sie den Ausdruck Dunkeldeutschland?

Ich habe mal einen Mannschaftskapitän gehabt, Lutz Lindemann. Der hatte sich zu entscheiden, mit dem FC Carl Zeiss Jena nach Stockholm zu fahren oder mit der Nationalmannschaft nach China oder Korea. Mit der Nationalmannschaft wollte er nicht so recht, obwohl das doch eine große Chance für ihn war. Hast du Angst vor dem langen Flug, habe ich ihn gefragt. Das nicht, hat er gesagt, aber wenn wir schon abstürzen, dann doch lieber über der bunten Welt. Der Sozialismus, in dem nun wahrlich nicht alles scheiße war, hat sich schon manchmal grau verkauft.

So grau ist es heute ja nicht mehr.

In Sachsen und Thüringen hat sich da unheimlich viel getan. In Mecklenburg-Vorpommern, da kann man an einem schönen See richtig gut Urlaub machen. Aber dort oben leben, das ist heute immer noch trostlos.

Trostlos mögen ihr Land auch die Spieler gefunden haben, die sich bei Auslandsreisen von der Mannschaft abgesetzt haben?

Wie viele Spieler waren das denn, die in 30 Jahren Ostprofitum in den Westen geflohen sind? Man müsste eher fragen, warum sind die meisten nicht abgehauen? Weil es ihnen gut ging. Die Art zu leben war eben doch nicht so grau in grau. Ich will nichts beschönigen, aber das Leben war normaler, als viele glauben. Das war nicht so, dass du jeden Moment gedacht hast: Gib mir eine Waffe und ich mache einen Durchbruch.

Haben Sie sich damals wohlgefühlt?

Ich gehöre auch zu den Menschen, die sich mit Dingen abgefunden haben, mit denen wir uns nie hätten abfinden dürfen. Damit, dass sie uns einfach mit einer undurchlässigen Grenze von dieser Welt abschneiden. Dass das pervers ist, haben wir nicht mehr so empfunden. Das war geschichtsgegeben. Sehr viele haben sich angepasst, ohne Hosianna zu schreien für das System. Natürlich gab es all diese Ungerechtigkeiten. Ein Volk steht ja nicht ohne Grund auf und schreit nach der Wende. Es ist aber nicht so, dass die große Masse die DDR jeden Tag als große Belastung oder als Fessel empfunden hätte.

Haben Sie sich unfrei gefühlt in der DDR?

Was ist Freiheit, wenn jetzt 2.000 Mitarbeiter von Quelle entlassen werden? Ist das Freiheit, wenn du Angst haben musst, deine Arbeit ohne jedes eigene Verschulden zu verlieren? Gehen wir einmal durch Nürnberg und fragen wahllos 500 Leute: Wie frei fühlen Sie sich auf ihrer Arbeitsstelle? Ist das Freiheit, wenn du weißt, dein Chef ist ein Riesenarschloch, aber um zu überleben, musst du ihm dienen?

Drill, das Einfordern von Gehorsam und Disziplin. Auch das steht für die Unfreiheit in der DDR.

Disziplin ist an sich doch nichts Schlechtes, so lange es nicht um Kadavergehorsam geht. Auch im Fußball geht es ohne Disziplin nicht. Schlimm genug, wenn man sie einfordern muss. Aber es geht doch nicht, dass in einem Kader von 25 Spielern zwei immer drei Minuten zu spät kommen, andere immer fünf Minuten. Aber forderst du das ein, dann schreiben etliche Sportjournalisten vom Disziplin-Meyer, vom harten Meyer.

Und schnell galten Sie als typischer Vertreter der DDR.

Ja, klar, vor allem bei denen, die gar nicht wussten, was das eigentlich ist – ein Ostler. Aber was wollen Sie gegen das Bild machen, das da gezeichnet wird. Ich hatte immer große Probleme damit, wie ich im Boulevard dargestellt wurde. Sie haben keine Chance, es sei denn Sie prostituieren sich. Viele können sich noch erinnern an die Geschichte, als mich ein Boulevardreporter gefragt hat, was ich mit dem Spieler vorhabe, der an einem Gegentor schuld war. Meine Antwort damals: Wir werden das Spiel vor versammelter Mannschaft auswerten, und dann werden wir den Spieler erschießen. Drei Tage lang war in dieser Zeitung nur zu lesen: Unmensch Meyer, menschenverachtender Meyer. Als ich das gesagt habe, haben alle gelacht.

„Kein Fußballtrainer wird verhindern, dass sich ein Spieler kreativ entwickelt“

Früher mussten Sie an der gesellschaftlichen Erziehung der Spieler mitwirken. Kann Marxismus in der Kabine helfen?

Natürlich schadet es nichts, wenn man über seine berufliche Tätigkeit hinaus etwas weiß. Aber auf dem Platz hilft das nur wenig. Schauen Sie sich Michael Oenning an, den Trainer des 1. FC Nürnberg. Der kann Klavier spielen. Was nutzt ihm das für seine Arbeit als Fußballtrainer? Jetzt tue ich einem vielleicht furchtbar Unrecht, aber Ernst Happel, für mich einer der Größten, war so schweigsam, dass man ihn beinahe für stupide hätte halten können.

Marx kann also zum sportlichen Erfolg nichts beitragen?

Wir haben mit den Jungs unsere Politschulungen gehabt. Das war manchmal nicht so dumm. Vielleicht sollte man das heute auch noch so machen. Um vielleicht zu erreichen, dass drei, vier Spieler sich ihre Gedanken machen und sich fragen, wie das so ist zum Beispiel mit Berlusconi in Italien. Wir haben damals immer Ausschnitte aus der Einheitspresse zu aktuellen Themen diskutiert. Die Leistungsfußballer waren eben auch Teil dieses Systems, das von der Partei beeinflusst wurde. Aber die meisten haben das so aufgefasst wie ich: als blöde, unnötige Belastung. Wir sind trotz Parteischulung nie Weltmeister geworden.

Heute wäre so was undenkbar?

Moment, das muss ja nichts mit Marx zu tun haben, sondern vielleicht mit Buddha. Jürgen Klinsmann hat es ja gut gemeint, als er für die Spieler beim FC Bayern eine Bibliothek eingerichtet hat. Aber so etwas können Sie doch einem fertigen Spieler wie Luca Toni nicht vorsetzen. Bei Jugendlichen sieht das schon anders aus. Kraft schöpfen aus mehr Weitsicht – das kannst du vergessen bei Männerfußballern.

Haben Sie es bedauert, dass Sie nie bei einem ganz großen Verein arbeiten konnten?

Ich will das umdrehen. Wenn ich überlege, dass ich 40 Jahre als Trainer arbeiten konnte, ohne dass das vorher mein Ziel war, dass ich nicht einmal aufgestanden bin in der Früh und gesagt habe: Heute möchte ich aber mal im Bett bleiben. Meine Arbeit wurde mein ganzes Leben lang immer anerkannt. Ich bin gesund. Ich muss nicht auf den Pfennig schauen. Nein, ich bin zufrieden ohne Ende.

Andreas Rüttenauer ist taz-Sportredakteur. Geboren 1968 in München, lebt er heute in Ostberlin