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KUNST

KunstBeate Schederschaut sich in Berlins Galerien um

Polytropos ist das erste Adjektiv, das Homer Odysseus zuweist, was sich einerseits mit „weit gereist“, andererseits mit „gewandt“ übersetzen lässt. Beides passt, wörtlich aber beschreibt es den Vagabunden als einen, der viele Drehungen und Wendungen durchlebte. Adriana Arroyo hat in ihrer Ausstellung „Polytropos: Turning Many Ways“ in der Galerie KM den Begriff als Titel gewählt und spinnt davon ausgehend narrative Stränge über geologische, politische wie mentale Veränderungsprozesse, die zunächst im Verborgenen brodeln, bis sie sich entladen. Erdbeben etwa, die Arroyo als gebürtige Costa Ricanerin zur Genüge kennt, oder aber die inneren Beben psychischer Erkrankungen – Ausgangspunkt der neuen Arbeiten war unter anderem Jay Griffiths Buch „Tristimania“, in dem diese ihre manischen Depressionen untersucht. Arroyo findet für beides poetische, vieldeutige Bilder, sie kombiniert Sicherheitstüren aus Stahl mit Fotografien von Vulkanen oder Ausziehtische aus Holz mit Hirnmodellen aus Gips. Die Ausstellung war für den VBKI-Galerienpreis nominiert, zu Recht (bis 28. 10., Mi.–Sa. 11–18 Uhr und nach Vereinbarung, Mehringplatz 8).

Auch in Jon Rafmans Geist scheint es zu brodeln, zumindest des Nachts, im Schlaf. Bei Sprüth Magers entführt sein „Dream Journal 2016–2017“ in die Abgründe menschlicher Fantasien. Seine eigenen erotisch-gewaltvollen Träume vermengt er in CG-animierten surrealen Welten mit billiger Internetästhetik und Avatar-Pornografie. Wer dem kanadischen Künstler auf Instagram folgt, hat einzelne Sequenzen bereits gesehen, weniger faszinierend-abscheulich wird die danteske Reise der beiden mangaäugigen Protagonistinnen dadurch gewiss nicht (bis 22. 12., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Oranienburger Str. 18).

Weitaus freundlicher erscheinen dagegen Naama Arads aus Nylonstrümpfen, Brezeln, Telefonkabeln, Pappbechern, Bügeleisen und weiteren Alltagsgegenständen zusammengesetzte Wesen. Pinkfarbene, vom Kleiderbügel hängende Beachballschläger-Brüste lachen einen in der Acud Gallery an („Bo-Ba“, 2017), Hüften lügen zwar immer noch nicht („My Hips Don’t Lie“, 2017), liegen aber umso bequemer mit an der Wand nach oben gelehnten Strumpfhosenbeinen und Seifenspenderknien herum. „Full Frontal“, völlig entblößt also, präsentiert Arad dieses animierte Gemischtwarenlager samt Wunderbaum-Muschi und Energiesparlampen-Penis. Was Freud dazu zu sagen hätte? Ob man ihn eventuell mit dem aufmerksamkeitsheischenden Telefonhörer, der an der Arbeit „High Maintenance“ herabbaumelt, erreichen kann? Eigentlich aber auch egal, die Dinge sprechen für sich (bis 22. 10., Fr. + Sa. 13–18 Uhr, Veteranenstr. 21).

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