: Soll der Staat mit Angeklagten Deals schließen?Ja
Absprache Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger handeln ein Urteil aus – so werden langwierige Strafprozesse abgekürzt. Geständnis gegen milde Strafe. Ist das gerecht? Das Bundesverfassungsgericht verhandelt darüber nächste Woche
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Brigitte Zypries, 58, SPD, hat 2009 als Justizministerin Deals gesetzlich geregelt
Deals fördern Geständnisse. Der Angeklagte erhält für sein Geständnis einen sicheren Rahmen, in dem sich die Strafe bewegen wird. Kommt die Verständigung zustande, ist die Urteilsfindung einfacher, die Begründung leichter, der Instanzenweg kürzer. Drei Gründe sprechen dafür. Erstens gab es auch vor der gesetzlichen Regelung Absprachen. Verteidiger und Richter haben sie aber verdeckt ausgehandelt. Das war eines Rechtsstaats unwürdig. Heute schlagen die Richter die Verständigung vor, sie läuft offen und verlässlich ab. Zweitens ermöglichen Verständigungen, dass Richter sich auf wirklich notwendige Verfahren konzentrieren können. Davon gibt es genug. Sie erfordern Verhandlungstage, Beweiserhebungen, Sachverständigengutachten und kosten Zeit und Geld. Drittens liegt der Deal oft im Interesse der Opfer. Das Geständnis erspart ihnen belastende Situationen.
Edda Weßlau, 56, Strafrechtlerin, ist Direktorin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik
Beim Deal geht es darum, dass die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ausbleibt und das Gericht die Verurteilung auf ein abgesprochenes Geständnis des Angeklagten stützt. Ihm wird dafür eine mildere Strafe versprochen. Es spricht grundsätzlich nichts dagegen – vorausgesetzt, der Angeklagte verzichtet freiwillig auf die Beweisaufnahme. Die Strafjustiz ist nie ohne solche vereinfachten Verfahrensweisen ausgekommen. Das Einverständnis mit dieser Erledigungsform wird allerdings nicht mit dem Lockmittel Strafmilderung erkauft. Der Beschuldigte kann seine Entlastungschancen in einer Hauptverhandlung gegen eine rasche, kostengünstige und diskrete Erledigung abwägen. Bei einer Modifikation dieses Modells könnte die Entschließungsfreiheit des Angeklagten ernster genommen werden, als es derzeit beim Deal der Fall ist.
Andrea Voßhoff, 54, ist rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Der sogenannte Deal ist aus dem Gerichtsalltag nicht mehr wegzudenken. Er verkürzt ein Verfahren oft erheblich. Daran ist nichts auszusetzen, wenn die Absprachen klaren rechtsstaatlichen Regeln folgen. Dies hat der Bundesgerichtshof mehrfach bestätigt, noch bevor die große Koalition die Verständigung im Jahr 2009 auf eine gesetzliche Grundlage stellte. Absprachen in Hinterzimmern gibt es seitdem nicht mehr. Am Ende steht ein Urteil, das mit normalen Rechtsmitteln angefochten werden kann. Die Verständigung sorgt auf rechtstaatliche Weise für eine effiziente Strafrechtspflege.
Hans Kudlich, 42, ist Strafrechtsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg
Deals schließen klingt negativ. Meist wird mit illegalen Gegenständen gedealt. Aber worum geht es? In einer Welt mit endlichen Justizressourcen versucht man streng am Gesetzestext einen Konsens herzustellen. Daran kann ich nichts Schlechtes sehen. Es gibt eben Fälle, da kann ein allseitiger Konsens sogar gerechter sein als ein willkürlicher Schnitt. Sicher kann mit den Absprachen Missbrauch getrieben werden. Aber der liegt an denen, die das tun, nicht am Gesetz.
Nein
Heribert Prantl, 59, Jurist, gehört der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung an
Papst Leo X., der in ständiger Geldnot war, hat einst den Ablasshandel eingeführt; die Gläubigen konnten sich zu festen Tarifen ganz oder teilweise Sündenvergebung erkaufen. Vor fünfhundert Jahren ist dieses System, das Aushandeln von Strafen, ins deutsche Strafrecht übertragen worden. Die Gründe dafür sind praktischer Natur, so wie damals, vor fünfhundert Jahren, auch: Der Staat hat kein Geld, die Strafverfahren sollen schneller und billiger, also die Beweisaufnahme möglichst durch ein Geständnis ersetzt werden. Dafür lässt der Staat bei der Strafe mit sich reden: Hat der Täter genug Geld, ist die Sache – halb oder ganz – aus der Welt. So war es damals mit den Sünden, so ist es heute mit der Strafe. Aus dem Richter wird ein Kaufmann, so wie damals aus dem Priester ein Händler wurde. Man nennt das die Ökonomisierung des Strafverfahrens. Damals, vor fünfhundert Jahren, zerbrach an solchem Ablasshandel der Glaube an die Kirche; heute wird daran der Glaube an das Recht zerbrechen.
Wolfgang Nešković, 64, Linkspartei, war Richter am Bundesgerichtshof
Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch. Ein „Deal“ bedeutet, dass die Wahrheit nicht ermittelt, sondern zwischen den Beteiligten vereinbart wird. Die überlastete Justiz profitiert von einem kurzen Verfahren, während der Angeklagte als Gegenleistung die von ihm für vertretbar gehaltene Strafe erhält. Wahrheit und Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke. Hinzu kommt, dass ein solcher Deal finanziell Bessergestellte bevorzugt und zu einem Zweiklassenstrafrecht führt. Der Reiche kann sich teure Anwälte leisten, die mit dem Gericht verhandeln, der Hartz-IV-Empfänger nicht. Der Deal muss daher gesetzlich verboten werden. Die Gerichte müssen stattdessen personell so ausgestattet werden, dass sie auch komplizierte und langwierige Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren ohne Deals führen können.
Endrik Wilhelm, 51, Anwalt, hat schon im März erfolgreich gegen den Deal geklagt
Der Deal ist dem deutschen Strafprozess fremd. Es gibt ihn nur, weil es komplizierte und langwierige Prozesse gibt. Er dient in diesen Fällen nicht der Herbeiführung einer gerechten Entscheidung, sondern der Arbeitserleichterung. Die Gerechtigkeit wird auf dem Altar der Prozessökonomie geopfert. Angeklagte, die das Drohpotenzial einer langen Beweisaufnahme nicht haben, sind klar im Nachteil. Es entsteht eine Atmosphäre, in der Streit verpönt ist und langjährige Beziehungen zu Richtern und Staatsanwälten eine größere Bedeutung als die Rechtslage bekommen.
André Köhler, 25, Medizinstudent, hat unsere Frage per E-Mail kommentiert
Deals nutzen denen am meisten, die sie vorschlagen. Der Angeklagte ist kein gleichberechtigter Partner in der Verhandlung. Er ist in einer Situation, in der ihm ein Deal wie ein Geschenk vorkommt. So etwas setzt unter Druck. Ein Verfahren abzukürzen mag verlockend sein, gerade angesichts leerer Kassen, aber der rechte Weg sieht anders aus.