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THEATER

TheaterEsther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Die Geschichte des Starhackers und Aktivisten Jacob Applebaum sorgte vergangenes Jahr für erhitzte Debatten. Applebaum, das ist der Mann, der maßgeblich an der Verbreitung der Snowden-Dokumente beteiligt war und im Berliner Exil lebt. Auf einmal wurden gegen ihn Vorwürfe erhoben, er habe gegen ihren Willen mit einer Frau Sex gehabt. Im Netz war das Urteil „schuldig“ schnell gesprochen. Erst journalistische Recherchen, unter anderen in der taz, machten deutlich, dass der Fall nicht so eindeutig lag. Die „riders on the shitstorm“ im Netz ließ das kalt. Das Recht im Netz ist nicht selten das Recht der Selbstgerechten. Da gibt es zwischen Donald Trump und dem scheinbar so gegensätzlichen ­Anonymisierungsprojekt Tor offenbar keine Unterschiede, dessen Gesicht Applebaum bis zu seinem Rauswurf aufgrund der Vorwürfe war. In den Parallelwelten des Netzes und seinen gefühlten Wahrheiten sind die Tools klassischer Wahrheitsfindung, wie es aussieht, nicht mehr von Belang. „Fuck the Facts“ heißt ein Musiktheaterabend, dem die Applebaum-Geschichte als Inspirationsquelle diente, der aber weit darüber hinausgehend nach den Mechanismen fragt, die das neue Klima im Netz für Fakten (und das, was manche dafür halten) untersucht. Und zwar mit vier Sänger*innen, Musik unter anderen von Georg Friedrich Händel, und auf der Grundlage eines Textes von Anna Catherin Loll, die im vergangenen Jahr gemeinsam mit Martin Kaul für die taz die Applebaum-Geschichte recherchierte. Regie führt Christian Römer. (Neuköllner Oper, ab 13. 9. 20 Uhr).

Voraussichtlich in einer Woche werden im Münchner NSU-Verfahren die Schlussplädoyers beginnen, an deren Ende ein Urteilsspruch gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten steht. Beate Zschäpe, der Mittäterschaft an den rassistisch motivierten Morden des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) vorgeworfen wird, droht lebenslange Haft. Aus Anlass der bevorstehenden Plädoyers in München hat der Heimathafen Neukölln erneut die „NSU-Monologe“ auf den Spielplan gesetzt, die auf der Basis von Interviews der „Bühne für Menschenrechte“ mit den Hinterbliebenen der Opfer entstanden sind, darunter Elif Kubaşık, Adile Simsek und Ismail Yozgat. Plädoyers der besonderen Art, die tief eintauchen in die Lebensgeschichten der Ermordeten und ihrer Familien und auch den Tag des Mordes und das ganze Elend der polizeilichen Ermittlungen mit einbeziehen, die zunächst unter dem Label „Dönermorde“ die Familien selbst verdächtigte, ihre Angehörigen umgebracht zu haben (Heimathafen Neukölln: „Die NSU-Monologe“, 7.–10. 9., 19.30 Uhr).

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