Hamburger Szene von Jean-Philipp Baeck: Die große Elbkakophonie
Bereits um kurz nach 13 Uhr hatte der Spaß aufgehört: Böen peitschten mir den Regen von der Seite ins Gesicht und das Getränke-Paradies Wolf hatte seine Markise eingefahren, die zuvor rudimentären Schutz bot. Alle vor und hinter mir in der Schlange wollten am Montag nur eins: Karten für die Elbphilharmonie. Seit zehn Uhr hatte die Konzertkasse in der Schanzenstraße wie 40 weitere Vorverkaufsstellen mit dem Ticketverkauf für die nächste Saison 2017/2018 begonnen – acht Stunden früher als im Internet. All das war großer Mist.
Die ersten hatten sich wohl um kurz vor neun Uhr vor die verschlossene Tür gestellt, so erzählte man es sich zwei Meter hinter mir. Ich stand seit viertel vor zehn in der Schlange – da war sie bereits 100 Meter lang. Um kurz vor ein Uhr klapperte ein Ticket-Mitarbeiter mit einem Zettel die Schlange ab. Mehrere Konzerte seien bereits ausverkauft: Birmingham Symphonie Orchester, Anne-Sophie Mutter, Daniel Barenboim. Was der hätte spielen sollen, fragte ein Mann. Dass das bei dem berühmte Pianisten ja wohl egal sei, sagte eine Frau. Er widersprach: Barenboim habe sehr wohl schon langweilige Konzerte abgeliefert.
Nach etwa zwei Stunde war das Eis zwischen den Wartenden gebrochen. Zu lang hatte man gemeinsam ausgeharrt, um aufzugeben, auch wenn es sich absurd anfühlte. Ein Typ in Flip-Flops und Cordhose hatte um 11 Uhr angefangen zu kiffen und später Bierkisten zum Sitzen organisiert. Mit Kreide hinterließ er auf dem Gehweg Botschaften für einen weiter hinten in der Schlange: „Gleich geschafft.“ Das war übertrieben, von jener Stelle aus sollte es noch weitere drei Stunden bis zu Kasse dauern.
Den ganzen Vormittag über hatte das Ticketsystem Ausfälle. Die Schlange hatte sich schon kurz nach Mittag halbiert, hauptsächlich, weil die Leute keinen Bock mehr hatten.
Richtig frustrierend wurde es aber erst am Kassentresen. Fast alle klassischen Konzerte waren ausverkauft. Und dann sollte man nur Karten für insgesamt drei Konzerte kaufen dürfen. Davon stand nichts auf der Website der Elbphilharmonie, dafür aber, dass man sich wegen Ermäßigungen für Schwerbehinderte und deren Begleitung an die Vorverkaufsstellen wenden solle. Der Mann hinter der Kasse hatte davon keine Ahnung, wohl, weil das nur „direkt beim Veranstalter“ gehen sollte. Na, vielen Dank. Am Ende stand ich über sechs Stunden an – für wenige überteuerte Restkarten und ein paar graue Haare mehr.
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