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Bloß weil heute alle eine Jogginghose tragen, sind noch lange nicht alle gleichWenn Subkulturen sich tarnen

INSELSTATUS

Leyla Yenirce

Das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg ist bei Sonnenschein ein echter Laufsteg. Doch spätestens seit die Jogginghose auch die linke Jugend erreicht hat und praktische Funktionsjacken auch von vielen Jungs, die auf der Straße abhängen, angekommen sind, wird es immer schwieriger zu sagen, wer sich da kleidungstechnisch zu welcher Subkultur bekennt.

Das war mal leichter. Rap-Fans trugen Baggy-Hosen, Punks Doc Martens und die Antifa North-Face-Jacken. Ganz einfach. Schon in meiner frühen Jugend im linken Szeneclub meiner Heimatstadt war ich verblüfft, wie einheitlich der Kleidungsstil einer Subkultur ist, die von sich behauptet, den Mainstream abzulehnen.

Was das für Nachteile hat, habe ich spätestens gemerkt, als meine Schwester mal in roter Lederjacke mit Fellaufsatz zu einer Anti-Sexismus Soli-Party in einem autonomen Zentrum ging. Am Eingang fragten sie die Türsteher*innen erstaunt: „Du auch hier?“ Meine Schwester kannte die Leute, die die Party organisiert hatten. Aber die hätten sie wegen ihres eher schicken Klamottenstils niemals bei einer Anti-Sexismus-Party erwartet. Dieser High-Heel-Stil passte dort nicht hin.

Der Kleidungsstil kann also schon etwas über die Zugehörigkeit zu einer Subkultur oder über eine politische Grundhaltung verraten, doch diese Rechnung muss nicht immer aufgehen.

Im Reiherstiegviertel ist genau das gut zu beobachten. Dort trägt zum Beispiel die weiße Kunststudentin ebenso eine Jogginghose wie der Sohn des alevitischen Bäckerei-Besitzers, der wiederum genau so eine Jack-Wolfskin-Jacke trägt wie die Frau aus dem Wohnprojekt. Aber manchmal passt die Kleidung auch zur Haltung, wenn Wilhelmsburger etwa in Jeans, Hemd und Lederschuhen aus ihren geleasten Mercedes-Autos steigen oder wenn die Ökos im Viertel in Sachen rumlaufen, die aussehen, als kämen sie aus der Zu-Verschenken-Box.

Der urbane Kleidungsstil ist eben vielfältig. Die Irritation, die dadurch entsteht, macht die Kategorisierung schwerer. Das kann von Vorteil sein, da sich Szenen öffnen oder Chancengleichheit entsteht. Menschen werden sozusagen nicht sofort aufgrund ihres äußerlichen Erschienenes abgelehnt und meine Schwester wird beim nächsten Besuch eines linken Ladens vielleicht nicht dumm angeguckt, wenn sie mit High Heels auftauchen möchte.

Ein übergreifender Kleidungsstil kann aber auch über soziale Missstände hinwegtäuschen. Tragen alle Jogginghosen, sieht es zwar so aus, als seien die Menschen nicht so unterschiedlich. Die Privilegien, die einige von ihnen genießen, bleiben aber trotzdem.

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer, Linke, Gentrifizierer und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.

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