: Der vorübergehende Einfluss
Unter den jungen KünstlerInnen ist ein Wohnsitz in Berlin inzwischen wieder ein Muss – auch dank anspruchsvollen Förderprogrammen. Das 10. Art Forum zeigt ab morgen den „Temporary Import“
VON BRIGITTE WERNEBURG
Die norwegische Künstlerin Mette Tronvoll ist etwas früher als ihre Kollegen zum 10. Art Forum angereist. Es war ihr ein Anliegen, am Sonntag den 32. Berlin-Marathon mitzumachen. Bei soviel Bravour auf so vielen Feldern darf sie als echte Freestylerin gelten. Dem Freestyle – der Präsentation eines Künstlerkonzepts durch eine Galerie – ist auch der Bereich in Halle 17 gewidmet, der sich im Untergrund langsam in die Sonderausstellung „Temporary Import“ öffnet, in der Mette Tronvolls großformatige Porträtfotografien zu sehen sind. Tronvoll war 1999/2000 Stipendiatin des Künstlerhauses Bethanien.
Berlin stellte auf der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig die meisten Teilnehmer. Vor allem unter den jungen, aufstrebenden KünstlerInnen, so scheint es, ist ein Wohnsitz in Berlin inzwischen ein Muss. Doch das ist bekanntlich ein Phänomen der letzten Jahre. Es gab auch Durststrecken wie beim Marathon, da musste man initiativ werden, um Künstler in die geteilte Stadt zu locken. Und so wurden anspruchsvolle Förderprogramme ins Leben gerufen, die glücklicherweise noch immer existieren. Auf ihnen gründet der Ruf Berlins als Künstlerstadt, der schließlich im Zuzugsboom nach dem Mauerfall Realität wurde. „Temporary Import“ ist die längst überfällige Hommage an das 1964 initiierte Künstlerprogramm des DAAD und das 1973 gegründete Künstlerhaus Bethanien.
Dass die Ausstellung ausgerechnet von der Messe Berlin und nicht von einem der Berliner Museen konzipiert wurde, spricht Bände. Tatsächlich haben sich nicht die öffentlichen Institutionen für illustre Gäste wie etwa Ilya Kabakov, Lawrence Weiner, Damien Hirst oder Douglas Gordon interessiert, es waren die Galeristen, die sich um die Künstler bemühten. Daher ist es nur gerechtfertigt, wenn die von Susanne Titz, der Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach, kuratierte Schau nun 47 internationale Künstler vereint, die von Galerien vertreten werden, die auch am 10. Art Forum teilnehmen. Auf 2.000 Quadratmetern, in einer vom dänischen Künstler Simon Dybbroe Møller gestalteten Ausstellungsarchitektur, zeigen sie Positionen aus den letzten zehn Jahren.
Es wird ihnen dabei größtmöglicher Freiraum für eine individuelle Präsentation gegeben; Erwin Kneihsl hat sich für seine Filmprojektion ein dunkles Tortenstück herausgeschnitten. Robert Lucander hat genug Raum gekapert, um eine Studiosituation zu installieren: an der Wand seine Bilder und davor auf einem Tapeziertisch die Vorlagen, Ausrisse aus Zeitungen und Zeitschriften, so wie sie in seinem Atelier herumliegen. Gleich zu Beginn verstört der 72-jährige William Anastasi, der zu den klassischen Concept-Art-Künstlern zählt, mit seinem lakonisch Weiß auf Schwarz geschriebenen Wort „Jude“. Der jüngste Teilnehmer, der 26-jährige, aus Russland stammende Andreas Golder, sieht sich in einem Selbstporträt von der Kunstgeschichte, in der Anastasi mit seinem von Duchamp und Cage beeinflussten Werk auch ein Kapitel geschrieben hat, wie von einem Tsunami überrollt. Clegg & Guttmann stellen ihre – nicht durch diese große Welle – „verschobene Bibliothek“ als soziale Skulptur mitten in den Parcours.
In den Untergrund hinabzusteigen, besser auf der Rolltreppe hinabzufahren, zu „Temporary Import“, bringt einen erfrischenden Perspektivwechsel zur eigentlichen Messe in den Ermisch-Hallen, die 129 Galerien aus 23 Ländern in der bewährten alphabetischen Reihenfolge versammelt. Ein knappes Drittel kommt aus dem Ausland und betreibt daher wirklich die vorübergehende Einfuhr von Kunst, Temporary Import, was eine zolltechnisch andere Behandlung gegenüber dem dauerhaften Verbleib eines Importgutes meint.
Doch gleichgültig ob aus den USA, Skandinavien, Osteuropa oder Deutschland, Malerei dominiert auch dieses Jahr, und nach einem ersten Überblick in einer stark von der Leipziger Schule beeinflussten Form. In ihrer originalen Form hat die natürlich Eigen + Art im Programm, Michael Schultz zeigt die Koreanerin SEO und erwartungsgemäß Norbert Bisky, bei Barbara Weiss vertritt Boris Mikhailov die Fotografie, Erik Schmidt geht bei carlier|gebauer auf die Jagd und trägt dabei dick auf, in Öl. Frank Elbaz aus Paris hat mit dem ungarischen Künstler Antal Lakner einen Künstler mit seherischen Fähigkeiten im Programm. Seine Installation „Bundesberg“ besteht aus Berliner Müll. Lakner wusste wohl schon, dass der zu hoch gestapelt und daher besser abgetragen wird, bevor er – wie kürzlich doch geschehen – zu brennen beginnt.