Handballclub THW Kiel unter Druck: Ein dankbarer Gegner
Der Ruf des Handballclubs THW Kiel hat nach einigen Niederlagen gelitten. Weil eine weitere Saison ohne Titel droht, gerät der Trainer unter Druck.
Mit Stolz hat der Handballclub THW Kiel auf seiner Homepage einen Fernsehtipp veröffentlicht. Am Sonntagabend bildeten die Mannschaft, 10.285 Zuschauer und das Maskottchen „Hein Daddel“ in der ehemaligen Ostseehalle den Rahmen für eine „Tatort“-Szene mit der Schauspielerin Sibel Kekilli.
In der ARD komme, so die Ankündigung auf der THW-Homepage, nun zusammen, was zusammengehöre: „Der Tatort, die beliebteste Krimireihe im deutschen Fernsehen, trifft auf den THW Kiel, den erfolgreichsten Handballverein Deutschlands!“ Richtig ist dies schon. Schließlich können die „Kieler“ Zebras in ihrer ruhmreichen Historie 20 deutsche Meisterschaften, neun DHB-Pokalsiege und drei Champions-League-Triumphe vorweisen.
Andererseits ist die aktuelle sportliche Situation keinesfalls überragend. Der THW ist ein gutes Stück davon entfernt, weitere Trophäen einzuheimsen. Es droht die zweite Nullrunde in Folge. Schon in der vergangenen Saison hatte es auf dem Rathausplatz keine Titelfeier gegeben, seinerzeit zum ersten Mal seit 2003.
Ein Mal lässt sich so etwas in Kiel verschmerzen. Zeichnet sich aber eine Wiederholung ab, führt dies zu Unruhe. Dies bekam Trainer Alfred Gislason unlängst zu spüren, als sein Team zu Hause in der Champions League gegen Bjerringbro-Silkeborg mit 21:24 verlor. Der dänische Meister steht international in der zweiten Reihe.
Viele THW-Fans kritisierten den 57 Jahre alten Isländer. Ihm sei das Feuer abhanden gekommen. Er würde das Team nicht mehr erreichen. Vom THW-Geschäftsführer Thorsten Storm erhielt Gislason Rückendeckung. „Alfred ausgebrannt? Das sehe ich gar nicht so. Alfred hat mit jungen Spielern einen Neuanfang begonnen, und ich sehe, dass er alles in die Weiterentwicklung des Teams investiert“, sagte Storm den Kieler Nachrichten.
Es kam aber noch schlimmer für Gislason und sein Team. Bei Paris Saint-Germain ging der THW mit 24:42 unter. Es war die höchste Niederlage auf internationalem Terrain überhaupt. Auch in der Bundesliga ist es für die „Zebras“ nie derart schlimm gekommen. Am nächsten dran sind Niederlagen mit 15 Toren Differenz: Am 4. Februar 1968 beim VfL Gummersbach (17:32), am 19. Mai 1986 bei TuSEM Essen (14:29) und am 20. Dezember 2006 beim SC Magdeburg (24:39).
„Skandalös schlecht angefangen“ habe seine Mannschaft in Paris, urteilte Gislason. „Wir haben viele Bälle verschossen und auch hinten nicht zugepackt.“ Schmerzhaft ist vor allem, wie das Renommee darunter leidet. Kiel wird von den Konkurrenten, anders als früher, längst nicht mehr als Bedrohung, sondern eher als dankbarer Gegner wahrgenommen.
Wie es so weit kommen konnte? Dem THW fehlt es vor allem an Balance im Team. Zu groß ist die Abhängigkeit vom kroatischen Spielmacher Domagoj Duvnjak, bei dem die Belastung der WM im Januar deutliche Spuren hinterlassen hat. Den großen Talenten Lukas Nilsson oder Nikola Bilyk mangelt es noch an Konstanz auf höchstem Niveau. Zudem bleibt der serbische Rückraumschütze Marko Vujin oft unter seinen Möglichkeiten. Und auf Linksaußen stagniert Rune Dahmke in seiner Entwicklung.
Meister zu werden, ist bei 38:8 Punkten kaum noch möglich. Die SG Flensburg-Handewitt ist mit ihren 41:3 Punkten erster Anwärter. Im DHB-Pokal ist in der aktuellen Verfassung schon das Halbfinale gegen den SC DHfK Leipzig eine Herausforderung. Sollte es ins Endspiel gehen, wären dort Flensburg oder der amtierende Meister Rhein-Neckar Löwen der Gegner.
Mit Letzterem hat es der THW auch im Achtelfinale der Champions League zu tun. Das Hinspiel findet am Mittwoch in Kiel statt. „Wir müssen uns gegen diese starke Mannschaft zusammenreißen“, forderte Gislason. „Es geht um alles.“ Sollte tatsächlich das Weiterkommen gelingen, wäre im Viertelfinale der FC Barcelona der Gegner – für die „Zebras“ sind das keine guten Perspektiven.
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