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KUNST

KunstJana J. Bachschaut sich in Berlins Galerien um

Aufs Brutalste ­stranguliert das Seil die Feldhasen. An den Hinterläufen verschnürt oder aufgeknöpft, baumeln sie an einer Treppe. Abseits der Mordszene hüpfen zwei Gottesanbeterinnen im Gummitwist, ebenfalls von Mary-Audrey Ramirez. Wer die Gruppenschau „Metamorphosis“ in der Galerie Guido W. Baudach betritt, sieht sich in einem Angsttraum gefangen. Renaud Jerez’Stoffteufel auf dem Seziertisch erinnert an das Manifest der Surrealisten, seine „bodies contaminated by consumerism“ hingegen an entstellte Avatare. Aus Thomas Helbigs Assemblagen, verschweißter Zivilisationsmüll, ragen Brüste oder Füße. Dreidimensionales aus fünf Ländern Europas verwächst hier zur Fratze eines postfaktischen Zeitalters. Kris Lemsalu spielt auf die Proteste in Hongkong an. Wohin laufen ihre Ziegelfiguren mit den gelben Regenschirmen? Wohl in den Wachtraum von Morgen (bis 16. 4., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 85).

Die Ausstellung von Jelena Bulajic bei carlier I gebauer stimmt versöhnlich. Sie sind sehr alt, die Frau und der Mann, deren dreieinhalb Meter großen Porträts in der Halle einander gegenüber hängen. Er, zahnlos, die Wangen wie eingesogen, zieht die Stirn in kräuselnde Falten. Sie gibt den Blick zurück, ein Gesicht, das oft gelacht hat. Realitätsnah hat Bulajic mit Granitpulver und Kalkstein gezeichnet. Dabei fängt sie nicht das Altern auf der Leinwand ein, sondern gelebtes Leben. Ergänzt werden die Charakterköpfe durch Mixed-Media-Bilder, etwa „Thames“ und „Sky“, Wasser und Wolken in Bewegung. Sie könnten ebenso Abbildungen von einem der aktivsten Organe sein – der menschlichen Haut (bis 15. 4., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Markgrafenstr. 67).

Im Kreuzberger Street Slang gern benutzt: „Kartoffelesser“. Unter dem Titel „Potato Eaters“ setzt die Galerie Leslie, nahe dem Kotti, drei abstrakte Maler, Alexander Marchuk, Krzysztof Mężyks, Jack Vickridge, in Korrelation. Van Gogh fertigte für seine „Kartoffelesser“ von 1885 fast 40 Studien von Händen und Köpfen. Weniger, um Anatomisches zu definieren, als das Bauernleben – mit grobem Strich und warmen Erdtönen. Marchuk, Mężyk und Vickridge verbindet mit dem Meister die Suche nach dem, was Malerei sein kann. Bei Marchuk: senkrechte schwarze Linien und Pink, fingerdick, vor neongelbem Grund. Ein Stab aus Modellierpaste ragt vertikal über den Rand. Mittig platziert ist Mężyks „At the gate of Thebes“: Ödipus auf dem Weg zur Pforte, schemenhaft, in Wasserfarben. Für „Tinte auf Papier“ verwendete Vickridge nicht etwa Kartoffeldruck, sondern eine Relief-Drucktechnik (bis 8. 4., Mi.–Fr. 10–14, Sa. 13–17 Uhr, Bergfriedstr. 20).

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