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Archiv-Artikel

KIM TRAU POLITIK VON UNTEN Endlich Absätze!

Als große Frau entspreche ich nicht der Norm. Na und? Hohe Schuhe will ich trotzdem

Das ist mein Wert, 1,8 Prozent, dazu gehöre ich! 1,8 Prozent aller Frauen in Deutschland sind zwischen 180 und 184 Zentimeter groß. Größer sind nur 0,2 Prozent. Exklusivität mal ganz einfach. Aber spätestens beim Schuhkauf hört der Spaß auf. In Schuhgröße 42 würde ich nur als Aschenputtels böse Stiefschwester reinpassen. Und ab 44, meiner Größe, gibt es Frauenschuhe nur im Fachgeschäft – oder im Internet. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Nicht auf Freund_innen zu hören, wenn sie mir erzählen, die schönen Sneaker, die sie letztens gesehen haben, seien doch Unisex und bestimmt auch in meiner Größe vorhanden. Nix da! Ab 42 ist Schluss. Braun, Blau, Grün sind dann angesagt. Ich will aber auch mal Pink!

Ach, waren das Zeiten, als ich diese Probleme nicht hatte. Als ich noch zu den 23,9 Prozent gehörte – zumindest so rein nominell. Da war das Leben noch einfacher. Ich passte voll in die Norm und hätte es mir dort gut gehenlassen können. Wenn sie etwas mit mir zu tun gehabt hätte. Das hat sie aber nicht. Ich habe auf sie gepfiffen! Zumindest grundsätzlich. So wirklich heldinnenhaft bin ich dennoch nicht – bin ich auch nie gewesen. Mir war es immer unangenehm, groß zu sein, nicht einfach mal in der Menge abtauchen zu können. Mich ständig im Weg zu fühlen, weil ich anderen die Sicht versperre, oder mir wie eine große Zielscheibe vorzukommen, im Sport ungelenk zu sein. Basketball? Nein danke!

Dass ich von 23,9 Prozent auf 1,8 Prozent wechsle, das war mir zu der Zeit gar nicht so bewusst. Es war ja eh alles neu, aufregend, aufwühlend, anstrengend und anders. Und wirklich um mich herum habe ich auch nicht geschaut. Ich habe es vermieden, Leuten ins Gesicht zu sehen, sie könnten mich ja mustern und merken, dass ich nicht immer zu diesen 1,8 Prozent gehört habe, ausgewachsen, versteht sich. Das wurde mir erst klar, als ich anfing, selbstverständlicher als Frau zu leben. Und dieses Selbstverständlich-als-Frau-Leben, das ist ein längerer Weg, auch heute noch. Das Ende ist noch nicht erreicht.

Lange habe ich peinlich darauf geachtet, möglichst Schuhe ohne Absätze zu kaufen. Ich wollte nicht noch mehr herausragen. Eine Ausnahme habe ich nur bei Pumps gemacht, zum Ausgehen, aber oft habe ich sie nicht getragen. Langsam ändert sich da meine Einstellung. Vor kurzem habe ich mir „Ankle Boots“ gekauft, man kann die wohl auch Stiefeletten nennen. Wieder zwei neue Worte gelernt. Die haben Absätze! Und das Tollste ist – nein, nicht der Muskelkater in den Oberschenkeln, nachdem ich sie das erste Mal getragen hatte –: Ich laufe gerne in ihnen. Dann bin ich halt noch ein wenig größer, so ist es eben. Nur blöd, dass ich auf Partys oder in Menschenmengen kleinere Menschen tatsächlich übersehe, im doppelten Sinne. Aber auch hier: Platzangst habe ich keine mehr, ich kann ja sehen, wo die Masse aufhört. Und sonst? Tja, auf Zentimeter habe ich nie sonderlich geachtet. Da zählen für mich gänzlich andere Maßstäbe, ganz ohne geeichte Einheiten.

Die Autorin studiert Geschichte in Berlin und engagiert sich bei Transgender Europe  Foto: privat