portrait : Der Künstler, über den man stolpert
Wer durch Berlin, Hamburg oder Köln streift, stößt irgendwann unweigerlich auf sie: die „Stolpersteine“ des Bildhauers Gunter Demnig. Ins Trottoir eingelassen vor dem letzten Wohnort, erinnern die mit einer Messingtafel versehenen pflastersteingroßen Betonquader an NS-Opfer: an Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Euthanasieopfer, politisch Verfolgte. Seit gut 20 Jahren verlegt Demnig seine „Stolpersteine“. Gestern verlieh Bundespräsident Horst Köhler dem 57-Jährigen dafür das Bundesverdienstkreuz: „Die ‚blinkenden Erinnerungen‘ geben den Opfern ihren Namen zurück und zeigen – für viele verstörend –, dass Geschichte auch im eigenen Haus und in der unmittelbaren Nachbarschaft geschieht“, so die Begründung.
Der gebürtige Berliner, der die ersten acht Jahre in der DDR lebte, studierte ab 1967 zunächst in Berlin, dann in Kassel Kunstpädagogik und Kunst. Seit 1980 sorgte er durch außergewöhnliche Kunstaktionen für Schlagzeilen, so mit seinen „Duftmarken“, die er über 818 Kilometer von der Kasseler Kunstakademie bis zum Centre Pompidou in Paris setzte, oder seiner „Blutspur“, die zur Tate Gallery in London führte.
Die „Stolperstein“-Idee kam Demnig Anfang der 90er-Jahre in Köln durch die Zusammenarbeit mit der Initiative Rom e. V. In Erinnerung an die Deportation von 1.000 Roma und Sinti 1940 legte der Bildhauer eine Schriftspur entlang der Transportstrecke quer durch Köln. Dabei traf er eine ältere Anwohnerin, die davon überzeugt war, in ihrem Viertel hätten „doch nie Zigeuner gewohnt“, und völlig überrascht war, als Demnig ihr anhand der Akten das Gegenteil bewies. „Da ist mir klar geworden, dass man den Leuten bewusst machen muss, dass es ihre teils vollkommen assimilierten Mitbürger waren, die die Nazis abtransportierten.“
Mittlerweile hat Demnig, unterstützt von seiner Lebensgefährtin Uta Franke, in 107 Orten mehr als 6.000 „Stolpersteine“ verlegt. Nicht immer stieß er auf Zustimmung. So wurden in München zwei Steine auf Beschluss des Stadtrats entfernt und auf den jüdischen Friedhof gebracht. In Köln befürchtete ein Anwalt einen Wertverlust seines Hauses und klagte. Demnig einigte sich außergerichtlich und verlegte die „Stolpersteine“ um ein paar Meter.
Das Bundesverdienstkreuz ist nicht die erste Auszeichnung für Demnigs ungewöhnliche Erinnerungsarbeit. So erhielt er im vorigen Jahr die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft Ver.di und wurde Ende Januar mit dem German Jewish History Award ausgezeichnet. Sein „Kunstprojekt für Europa“ wird weitergehen. Ab 2006 sollen die ersten Steine im Ausland verlegt werden: in Kopenhagen, Salzburg, Amsterdam und Odessa. PASCAL BEUCKER