: Musik in schwierige Stadtteile
Hochkultur in die Grundschule. Die Essener Philharmonie geht im sozialen Brennpunkt Katernberg in die Offensive
Katernberg ist zwar ein Stadtteil von Essen, aber die wenigsten Katernberger kommen als Konzertbesucher in die neu eröffneten, glanzvollen Philharmonie. Zu groß ist die soziale Distanz zwischen der Hochkultur und der Bevölkerung mit handfesten sozialen Alltagsproblemen im Norden der Stadt.
Das soll nicht länger so bleiben. Michael Kaufmann, der Intendant der neuen Philharmonie, hat ein auf drei Jahre angelegtes Kooperationsprojekt mit einer Katernberger Grundschule verabredet, das die Musik zu den Kindern und Eltern des Stadtteils bringen wird. Die Philharmoniker werden sich mit ihrem Musikangebot in der Herbartschule präsentieren, aber auch die Kinder in die Philharmonie einladen. Zwei Aufführungen der Oper „Hänsel und Gretel“ in der Turnhalle stehen schon fest, auch die Gründung eines gemeinsamen Schulchores. „Wir wollen Kinder in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld für Musik begeistern“, sagt Kaufman . Und weil dieses Lebensumfeld kein einfaches ist, hat er dafür Katernberg ausgewählt.
Beim ebenfalls auf drei Jahre angelegten künstlerischen Unterrichtsprojekt „ReSonanz & AkzepTanz“ wird mit dem Orff-Institut der Universität Mozarteum in Salzburg zusammengearbeitet. Eine Gruppe von Studierenden wird im Rahmen ihrer Musik- und Tanzausbildung mit den Drittklässlern kreativ arbeiten. Die Prozesse werden wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. „Zeit und pädagogisches Engagement bringen wir dafür mit“, freut sich Schulleiterin Angelika Sass-Leich. Man sei eine offene Ganztagsgrundschule mit rhythmisiertem Unterricht: Im Stundenplan wechseln sich Lern- und Übungsphasen mit Spielgelegenheiten ab.
Allen Beteiligten ist klar, dass sie in eine große Lücke stoßen, die das Land mit seiner Politik bislang nicht geschlossen hat. Obwohl inzwischen durch zahlreiche Modellversuche und die Erkenntnisse der Hirnforschung bekannt ist, dass über aktive Kunstvermittlung die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern positiv beeinflusst werden und sie stark gemacht werden in ihrer sozialen Kompetenz, wird der praktische Umgang mit den Künsten sträflich vernachlässigt. Entsprechend gut ausgebildete Pädagogen sind Mangelware in den Schulen. Insbesondere da, wo Eltern den Mangel nicht kompensieren können, werden den Kleinsten anregungsreiche kreative Lerngelegenheiten versagt. Im Etat der Philharmonie sind 450.000 Euro für die Zusammenarbeit eingeplant. Noch ist nicht klar, welche Art der Unterstützung die Stadt zum Projekt leisten wird. Bei der Präsentation des Projektes war sie jedenfalls nicht vertreten.
BRIGITTE SCHUMANN
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