: Eine Spur von Angriffslust
Tanz Der Nerd beugt sich über die Rechner, die andern machen Party: Nicht einfach, immer locker zu bleiben. So gesehen bei dem Choreografen Emanuel Gat, der das diesjährige Festival „Tanz im August“ eröffnete
von Katrin Bettina Müller
Die Spannung des Läufers vor dem Start, halb kniend, den Blick auf die Strecke gerichtet – das ist ein oft gesehener Moment, vielfach vergrößert. Wenn die acht Tänzerinnen und zwei Tänzer in Emanuel Gats neuem Stück, „Sunny“, ihre Bewegungen anhalten und zur Skulptur gefrieren lassen, dann werden auch solche zielgerichteten Posen gestreift.
Eine Spur von Wettkampf, von Entschlossenheit und Angriffslust liegt in der Luft, schon lange bevor die Rufe, mit denen sie ihre Bewegungen synchronisieren, scharf werden und wie Befehle klingen. Eine Spur ist es freilich nur, über die ein auffällig lässiges Gewebe von Bewegungen gelegt wird, auch von einer Tänzerin mit Armprothese, eine scheinbar spontan und in der Reaktion auf die Musik und aufeinander entstehende Choreografie. Sie beobachten sich mit einer Lebendigkeit, die etwas von der Freiheit hat, aus dem Moment heraus zu agieren. Aber es gibt auch die Punkte des Umschlagens, wenn aus Beobachten ein Abchecken wird – und Kontrolle.
Ausgestelltes Jungsein
Mit „Sunny“ von Emanuel Gat und Awir Leon, ehemals Tänzer und heute Produzent elektronischer Musik, der den Soundtrack zu „Sunny“ live auf der Bühne spielt, begann das Festival „Tanz im August“ im Hebbel-Theater. Es war eine Performance, die einerseits das Jungsein ausstellte, die anstrengende Arbeit daran, Optionen offenzuhalten und cool zu sein – die andererseits aber, gerade durch die Weigerung, zu viel Struktur und Form anzunehmen, Erinnerungen wachrief an ältere großartige Stücke, die man auf diesem Festival in seiner fast 30-jährigen Geschichte schon sah.
Man konnte etwa an die Rosas-Kompagnie von Anne Teresa De Keersmaeker denken, oder auch an frühere Stücke von Gat selbst (2011 war er zuletzt mit seiner in Frankreich arbeitenden Kompagnie hier gewesen), der schon mit größerer Konzentration als jetzt an ebendiesem Offenhalten der Möglichkeiten gearbeitet hat.
Awir Leon ist der Nerd auf der Bühne, unablässig über seine Rechner gebeugt. Er begegnet dem exaltierten Gestus der zur Rampe vor- und zurücklaufenden TänzerInnen mit heller Stimme, leise ins Mikrofon nuschelnd; verloren klingt das über den dunklen, grummelnden Sounds. Wahrscheinlich trifft diese Spannung zwischen dem einsamen Fünkchen, das seine Stimme im Meer des Technosounds bildet, und dem ständigen Sichausliefern, Sich-der-sozialen-Kontrolle-der-anderen-Aussetzen, das die Bewegungsbilder prägt, ganz gut einen Nerv der Zeit.
Eine Erfolgsgeschichte
Zudem spielt Emanuel Gat geschickt mit dem Licht. Zonen von Dunkelheit schieben das Geschehen an den Rand, aufbrechende Lichtinseln stärken die Präsenz. So ist dauernd in Bewegung, wie nah oder fern man den Tanzenden ist. Dadurch verstärkt sich das Beiläufige, man erlebt dies alles wie auf einer Passage durch eine volle Stadt, durchquert Szenen und entfernt sich wieder.
Vor dieser ersten Aufführung des Festivals im Hebbel-Theater konnten Annemie Vanackere, die Intendantin des HAU, Virve Sutinen, die Festivalkuratorin, und Bürgermeister Michael Müller in kurzen Eröffnungsreden frohe Botschaften mitteilen: dass Virve Sutinen das Festival weiterleiten wird bis 2019 und die zuletzt gestiegene Förderung durch Berlin und den Bund für weitere zwei Jahre bestätigt ist. So sind mehr Produktionsbeteiligungen und die Einladung größerer Gastspiele möglich geworden, seitdem Annemie Vanackere das Festival an ihr Haus gebunden hat.
Dass neben Zukunftsmusik aber auch viel Vergangenheit im Festivalprogramm steckt, zeigte auch ein zweites Gastspiel, von der belgischen Gruppe Peeping Tom im Haus der Berliner Festspiele. Das war ein doch etwas heftig auf Nostalgie gestimmtes Tanz- und Bildertheater.
Nicht nur weil Gabriela Carrizo, die vor 16 Jahren die Kompagnie gegründet hat, zuvor mit Alain Platel und seinen Ballets C de la B arbeitete, an dessen besten Stücken, „Iets ob Bach“ (1998) und „Wolf (2002)“, die in Berlin auch von Tanz im August präsentiert wurden – sondern mehr noch, weil das eingeladene Stück, „32 rue Vandenbranden“, akustisch und visuell aus sehr vielen Anleihen zusammengesetzt war. In Gespenster- und Horrorfilmen, die in kleinen, verschneiten Dörfern spielen, unter einer Gemeinschaft, die selbst noch die ein oder andere Leiche im Keller hat – hier sind es im Schnee begrabene Kinder –, hat sich fast jeder schon mal gegruselt. Sie werden zitiert im Bühnenbild mit den beiden Containern im Schnee und in den Figuren: Die Frau, die durch die Wand geht. Der Mann, der fliegen kann. Die Vögel, die angreifen. Die Aufpasserin auf dem Dach.
Die wurde übrigens gespielt von einer Sopranistin, die live sang. Aber die eklektische Musikauswahl hatte etwas Verbrauchtes. Barocke Arien und Rockballaden, allesamt scheppernd gespielt, als ob ihre Töne in dieser fern gelegenen Welt auf den Resten kaputter Instrumente mühsam zusammengesucht werden müssten. Das verstärkte den Effekt, dass man dachte: Da liegt schon viel Staub drauf.
Muss man sich darüber ärgern? Oder ist das ein Effekt der eigenen Abnutzung als Zuschauerin, die vieles aus der Tanzgeschichte auf diesem Festival überhaupt erst kennengelernt hat? Betrauert man nur das eigene Älterwerden, wenn man die Aufbruchsenergie von früher vermisst? Da kommt wohl einiges zusammen, um nicht so ganz froh diesem Auftakt beiwohnen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen