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„So kriegen wir in Brasilien auf die Fresse!“

Handball Favorit für Olympia ist die deutsche Mannschaft derzeit nur qua Amt – nicht wegen ihrer spielerischen Leistung. Franzosen und Dänen bieten hingegen individuelle Weltklasse

Vorolympischer Pokal: Der Franzose Daniel Narcisse stemmt den Siegerpott beim Eurotournoi Foto: imago

aus Straßburg David Joram

Claude Onesta ist ein höflicher Mensch. Darum verweilte er am Sonntagabend so lange in der Mixed-Zone der Straßburger Rhenus-Halle, bis auch wirklich jeder Reporterwunsch befriedigt war. Frankreichs Handball-Nationaltrainer wirkte dabei gelassen. Zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Rio kann er das auch sein. Schließlich sind Les Bleus schon in bemerkenswerten Form. 29:25 gewannen sie das Finale beim Eurotournoi in Straßburg gegen den olympischen Mitfavoriten Dänemark. Und das souverän. „Unser Ziel ist der Olympiasieg, ganz klar“, sagt Onesta.

Als die Fragesteller Onestas viel geschätzte Meinung zum amtierenden Europameister hören wollten, antwortete er nicht mehr ganz so eindeutig: „Die Deutschen haben hier nicht mit 100 Prozent gespielt, in Rio wird man sie zu den Favoriten zählen müssen.“

Auch der dänische Coach Gudmundur Gudmundsson meinte nichtssagend: „Die deutsche Mannschaft ist sehr stark.“ Das hatte er ausgerechnet nach dem ersten Spiel gegen die Deutschen am Freitag gesagt, als der Europameister gegen Dänemark beim 19:25 völlig überfordert gewirkt hatte. Weshalb Gudmundsson der pflichtgemäßen Netiquette noch einen wichtigen Zusatz verpasste: „Die sind Europameister, da kommt jetzt natürlich Druck auf.“ Von außerhalb sowieso, aber auch innerhalb des Teams träumen viele vom historischen Erfolg.

Olympiasieger ist eine bundesdeutsche Auswahl noch nie geworden. 1980 siegte die DDR bei den Boykottspielen in Moskau, 1936 Nazideutschland in Berlin. 2004 holte die goldene Generation um Kretzschmar, Schwarzer und Co. in Athen die Silbermedaille, 2008 scheiterte die DHB-Auswahl bereits in der Gruppenphase, für 2012 waren die schwarz-rot-goldenen Werfer gar nicht erst qualifiziert.

Jetzt fährt das Team als Europameister nach Rio, weshalb der eine oder andere genauso spricht wie Claude Onesta. „Wir wollen Gold“, sagt etwa Torwart Andreas Wolff bestimmt. Der kleine Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen besteht nach dem Eurotournoi darin, dass Letztere in der verbleibenden Vorbereitungszeit noch kräftig zulegen müssen. Den Favoritenstatus besitzen die Deutschen derzeit nur qua Amt – nicht wegen ihrer spielerischen Klasse.

„Unser Ziel ist der Olympiasieg, ganz klar“

Claude Onesta

Besonders erschreckend war die Angriffsleistung gegen Dänemark. Und auch im Defensivbereich, eigentlich das Glanzstück der Sieben von Trainer Dagur Sigurdsson, gibt es noch Abstimmungsprobleme. „Das war sehr enttäuschend“, räumte Sigurdsson ein. Wolff, ein Freund der klaren Worte, war direkt nach Spielschluss weniger diplomatisch gestimmt: „So kriegen wir in Brasilien auf die Fresse!“

Mag sein, dass auch Dänen und Franzosen noch ein wenig Nachholbedarf haben; im Vergleich zur deutschen Sieben verfügen sie aber über individuelle Weltklasse. Nikola Karabatić reüssiert bei Les Bleus schon seit 2002. Er ist der größte Superstar dieser Sportart und immer noch in der Lage, förmlich auf Knopfdruck ein ganzes Team zu mobilisieren. Die Dänen haben Mikkel Hansen. Der sieht mit seinen langen Haaren und dem weißen Stirnband wie ein Rockstar aus und spielt auch so: Ziemlich cool.

„Er ist unsere Schlüsselfigur und nimmt diese Rolle auch an“, sagt sein Trainer. Auch Gudmundsson ist deshalb ähnlich entspannt wie Onesta. Für Dagur Sigurdsson besteht derzeit nur ein Grund, sich diesem Zustand hinzugeben: Dänen und Franzosen sind bei Olympia nicht in der deutschen Gruppe.

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