Berliner Szenen: In der Hasenheide
Fundamentalangst
Manchmal, wenn ich da so in der Hasenheide sitze, denke ich, es könnte, nein, es muss doch eigentlich jeden Moment unweigerlich Folgendes passieren:
Ich fläze also auf der Wiese am ostseitigen Hang der langen Senke – hier hat man am längsten Abendsonne – und lese ein Buch. Da sehe ich von Weitem zwei Typen zielgerichtet auf mich zukommen. Der eine filmt mit seiner Handykamera, der andere trägt ein langes Schwert. Ich habe kein gutes Gefühl.
Dann stehen sie vor mir und fragen mich, ob ich wisse, besser gesagt, sagen mir, warum ich nun gleich sterben muss. Also eher mit’nem halben Fragezeichen. Und ich sage, hmm, keine Ahnung, aber dass manche ja heutzutage die komischsten Gründe für so etwas fänden, und vielleicht wäre es ja in meinem Fall, dass ich beim Sitzen die Beine überkreuzt halte oder dass ein Hemdknopf zu viel offensteht oder ich lese das falsche Buch. Doch, um die ganze Sache zu vereinfachen: Nein, das wisse ich wirklich nicht.
Er holt mit dem Schwert aus, und allein das erzeugt ein sirrendes Geräusch in der Luft, das Schwert muss sehr scharf sein; der andere filmt dabei mit der Handykamera – der ist bestimmt ebenfalls böse – und ich weiß, ich habe keine Chance, außer vielleicht diese eine klitzekleine: und spanne sämtliche Muskeln meines Körpers auf nie zuvor da gewesene Weise an, bis ich bloß noch ein einziger Muskel bin, und schnelle, schnelle! dem Schwertmann etwa in Höhe seiner Schienbeine entgegen.
Dummerweise trifft er mich in der Luft voll, fast tödlich. Mein buchstäbliches Entgegenkommen verdoppelt die auf mich einwirkenden Kräfte des Schwerts. Und während er mich zerhackt wie einen Salathering, kann ich eben noch denken, dass mir ein schwerer Denkfehler unterlaufen ist: Wenn man keine Chance hat, gibt es auch nicht die eine. Uli Hannemann
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