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Archiv-Artikel

Vom Gig mit der Band Pavement

Buchmessern (4): Empfang bei Suhrkamp, wo sich im Gedränge in der Unseld-Villa Literatur und Leben annähern

In Frankfurt, in den Messehallen und der Umgebung des Messegeländes entsteht gern das Gefühl einer Zeitstauchung, um nicht zu sagen: eines Zeitstillstands. Man fragt sich: Liegt die letzte Buchmesse wirklich schon ein Jahr zurück? War man nicht erst gestern hier? Vor ein paar Minuten? Man kann jedenfalls ganz schön durcheinander geraten, wenn man an den Buchverkäufern und Antiquaren vom Eingang der Messe vorbeiläuft, den immergleichen langen Gang mit seinen zwei Biegungen in die Halle 3 antritt, im Zwischenbereich der Halle 3 landet und sich fragt, ob der taz-Stand jetzt in Halle 3.0 oder 3.1 liegt, unten oder oben, bis man den Stand des S.-Fischer-Verlags vorn am Eingang von 3.1 entdeckt, um zu wissen: Hier ist es, hier ist die Halle mit dem taz-Stand, wo gegenüber sich alljährlich der Edition-Nautilus-Stand befindet, KiWi um die Ecke liegt, die FAZ nicht weit ist und überhaupt alle ihren angestammten Platz wieder eingenommen haben. Some things never change, und auf der Buchmesse erst recht nicht.

Klar, dass mittwochs um 17 Uhr der Kritikerempfang bei Suhrkamp ist; das Ritual auch nach dem Tod Siegfried Unselds weiter gepflegt wird, erst recht von der andenkenversessenen Ulla Unseld-Berkéwicz. Ausnahmslos alle sind da, gleichgültig wie sie zu den Wirren bei Suhrkamp vor zwei Jahren standen. Als Berkéwicz ihre kurze Ansprache hält, entsteigt man endlich seinem Zeitloch, doch, ja, es tut sich was, auch bei Suhrkamp. Bevor Berkéwicz ihren diesjährigen Gastautor Juri Andryochowitsch vorstellt, erzählt sie kurz etwas von den beiden neuen Suhrkamp-Programmreihen: Im „Verlag der Weltreligionen“ sollen ab 2007 jährlich zehn religionswissenschaftliche Bände erscheinen; und in der Edition Unseld, die – wie Berkéwicz ausdrücklich betont – nicht die Edition Suhrkamp ersetzen wird, sollen sich Natur- und Geisteswissenschaften annähern.

Große Pläne, die fast vergessen lassen, dass man nirgendwo leichter ins Gespräch mit Autoren kommt als in den engen Räumen der Unseld-Villa. Bernd Cailloux ist da, mit seinem Buch „Das Geschäftsjahr 68/69“ der Star aus dem diesjährigen Suhrkamp-Programm, ein Mann mit Underground-gegerbtem Gesichtszügen. Cailloux’ Buch handelt zwar von 68, ist aber auch ein Buch zur Zeit, zu Konsumrebellismus und zum Ausverkauf von Subkulturen. Cailloux freut sich über die Resonanz, wundert sich aber über einen Ausdruck wie „fakturieren“, den sein Verlag für die täglichen Verkäufe anwendet, und spekuliert dann mit einem über die junge Dame an der Seite von Ulrich Wickert: seine Frau? Eine Kollegin? Eine Mitarbeiterin des Verlages, in dem Wickert seine hölzernen Krimis schreibt?

Auch Cees Nooteboom ist anwesend und erklärt, mit Esoterik gar nichts zu tun zu haben (was sein Roman „Paradies verloren“ für kurze Momente nahe legen könnte), sondern er im Gegenteil ein Transzendentalist und Agnostiker zugleich sei. Er lacht, als er das sagt, und hat, entspannt, wie er ist, nichts dagegen, Auskunft über seinen schwergewichtigen niederländischen Kollegen A. F. Th van der Heijden zu geben. Dieser, so Nooteboom, schreibe gerade an mindestens zwei riesigen Werken, an sieben verschiedenen Tischen in sieben Arbeitszimmern, und dieses manische, für van der Heijden aber obligate Arbeiten schnüre diesem nicht nur im metaphorischen Sinn förmlich die Luft ab.

Nach solchen Beweisen, wie lebensgefährdend Literatur sein kann, freut man sich, dass bei Suhrkamp ein Thomas Meinecke unter Vertrag ist. Mit Meinecke lässt sich, das weiß man, vortrefflich über Pop reden, etwa darüber, wie er einst mit FSK auf einer US-Tour überraschend zu einem Gig mit der Band Pavement eingeladen wurde. Es ist eine richtige Rock-’n’-Roll-Geschichte, die Meinecke erzählt, mit FSK-Nannies, Vietnamveteranen und Pavement-Groupies, und eine Geschichte, die nebenbei beweist: Es gibt ein Leben außerhalb der Buchmesse.

GERRIT BARTELS