Hamburger Szene: Nur der Korn bringt’s
Auf dem Bahnsteig überholen mich kichernd fünf ältere Damen in schicken Mänteln, glänzenden schwarzen Schuhen und Filzhüten auf den grauen Kurzhaarfrisuren. Nett sehen sie aus, richtige Omis. Da zieht eine der Damen eine Dose aus der Jackentasche. Groß wie ein Sprühdeo, schwarz mit gelber Schrift. Pfefferspray. „Damit kann man sich verteidigen“, sagt sie, und ihre Freundinnen nicken zustimmend.
Weil die S-Bahn reinrauscht, verstehe ich nicht, wovor sich die Frau mit dem Spray schützen will. Aber ich bin neugierig geworden. Im Waggon setze ich mich neben die Frauen. Über Selbstverteidigung sprechen sie jetzt nicht mehr. Dafür zieht eine der Damen eine kleine Actimel-Flasche aus der schwarzen Handtasche. Das Etikett ist schon abgenutzt. Sie nimmt einen kräftigen Schluck. „Ich segg keeneenen, datt da Koorn in is“, sagt sie auf Platt. Dafür erntet sie Empörung von ihrer Freundin: „Korn?“, fragt sie. „Nimm Vodka, der riecht nicht. So mache ich das beim Sport immer.“ Alle kichern. „Alkoholiker? Sind wir nicht“, giggelt eine der Damen, mittlerweile ohne Hut.
Dann werden Rezepte ausgetauscht: „Mit Vodka kann man auch ganz toll Wackelpudding machen“, sagt eine der Damen. „Da ist es ganz egal, ob grünen oder roten, das schmeckt meinem Schwiegersohn immer.“ Als ich aussteigen muss, sind die Frauen zu einer Diskussion über die richtige Rasenlänge übergegangen. „Wie mit der Nagelschere geschnitten“, lobt eine der Frauen ihren Schwiegersohn mit dem Aufsitzrasenmäher. Irgendwie sind mir die Omis sympathisch. Ich drücke beide Daumen, dass sie nicht gegen den Wind sprühen, wenn sie auf vermeintliche Angreifer treffen: bei dem Pegel. Andrea Scharpen
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