: Rebellen mit vielen Gründen
Betzefer sind eine der erfolgreichsten Bands Israels – weil sie bei einer ausländischen Plattenfirma unter Vertrag sind. Sie wohnen im Proberaum, Politik interessiert sie nicht, die Armee hat sie entlassen, und auf Hebräisch mögen sie nicht singen
VON THOMAS WINKLER
Eine halbe Stunde außerhalb Tel Avivs, in Richtung Landesinneres, ist die nächtliche Luft immer noch warm, hat aber den Geschmack des Meeres verloren. Tel Aviv verwandelt sich. Die vom Bauhaus geprägte, als Weltkulturerbe geschützte Architektur verschwindet zusehends, hier ist die Stadt nicht mehr dem Strand zu geneigt, sondern wird dominiert von breiten, jetzt menschenleeren Durchfahrtsstraßen. Amerikanisch wirkt die Stadt hier, ihr mediterranes Flair hat sie verloren, die Straßenschilder sind nur mehr in hebräischer Schrift. In nahezu jedem anderen Land hätte man Angst, aber Israel ist ein Militärstaat, und die Chancen ausgeraubt zu werden sind geringer, als bei einem Attentat ums Leben zu kommen.
Ein 24-Stunden-Verkauf leuchtet in der Dunkelheit, zwei Obdachlose schieben ihre mit Dosen gefüllten Einkaufswagen über den Bürgersteig, und kurz vor der Autobahnauffahrt führt der Weg zu Israels bekanntester Metal-Band in ein altes Industriegebiet. Die Straßenbeleuchtung ist ausgefallen oder war nie vorhanden. Verrottete Zweckbauten stehen sechs Stockwerke hoch, scheinbar verlassen. Die Gegensprechanlage ist zerstört, die Eingangstür ist unverschlossen, das Licht im Treppenhaus brennt lange schon nicht mehr. Durchs Halbdunkel immer der Musik nach. Angekommen vor einer notdürftig geflickten Sperrholztür. Klopfen. Keine Reaktion. Hämmern mit der Faust. Die Tür öffnet sich, eine Band hört auf zu üben, ein Langhaariger blickt fragend. Betzefer? Der Langhaarige zeigt den Flur hinunter, die Tür schließt sich wieder.
Zwanzig Meter weiter noch eine Tür. Hinter ihr lebt Matan Cohen, Gitarrist von Betzefer. Schlagzeuger Roey Berman kommt gerade aus der Dusche. Das Wohnzimmer wird dominiert von einem Schlagzeug und Verstärkern, überquellenden Aschenbechern und geleerten Flaschen. Bis vor wenigen Monaten wohnten auch Sänger Avital Tamir und Bassist Rotem Inbar hier. Man könnte auch sagen: Betzefer lebten in ihrem Übungsraum. Denn die sind teuer in Tel Aviv und werden, so wie der nebenan, von ihren Besitzern stundenweise samt Equipment vermietet: 15 Dollar für sechzig Minuten.
Denn Musik, das ist in Israel keine berufliche Alternative. Zu klein das Land, zu zersplittert die Gesellschaft, zu kompliziert der Markt. Ultraorthodoxe Christen hören, wenn überhaupt, sehr viel andere Musik als die hedonistische Schwulenszene, national-konservative Siedler oder arabische Israelis, und die Punk-Szene haben mittlerweile die Einwanderer aus den GUS-Staaten übernommen. Tamir erzählt, dass er gerade eben, vor vier Tagen den ersten und bis auf weiteres wohl auch einzigen arabischen Fan von Betzefer kennen gelernt hat.
Betzefer aber wollten trotzdem den Erfolg. Deshalb sperrten sie sich fast zwei Jahre ein in ihre Übungsraumwohnung und perfektionierten ihren böse stampfenden, von Slayer und Pantera beeinflussten Schwermetallsound aus Doublebass und Motorsägengitarren bis zur internationalen Marktreife. Als Ergebnis bekamen sie von Roadrunner, einer der weltweit führenden Metal-Firmen, einen Plattenvertrag. Im Sommer haben sie ihr erstes Album „Down Low“ heraus gebracht, und sie sind die erste israelische Band mit einem Deal im Ausland bei einer so großen Firma. Der verschafft die Unabhängigkeit, die Gelegenheitsjobs als Koch, Kellner, Pizzalieferant und Grafikdesigner aufzugeben und sich nur der Metal-Produktion zu widmen. Und er eröffnet jetzt absurderweise auch zu Hause Möglichkeiten:
Eines der größten israelischen Labels lizensiert nun von Roadrunner eine Band, die sie vor Jahresfrist noch problemlos hätte direkt verpflichten können. Ohne die internationale Perspektive hätte es wohl nicht funktioniert. Auch in Deutschland wird Metal zwar von den etablierten Medien kaum wahrgenommen, kann sich aber auf eine treue Fangemeinde und solide Umsatzzahlen stützen, die nicht selten die des neuesten, im Feuilleton abgefeierten Hypes in den Schatten stellen, denn in der Provinz ist Metal oft Mainstream.
In Israel dagegen findet die Rezeption des Genres strikt im Underground statt. Nicht einmal Fanzines gibt es, kommuniziert wird allein über Flyer, Poster und das Internet. „Die Regierung kontrolliert die Medien“, meint Tamir, „wenn man wissen will, was abgeht, muss man davon weg bleiben.“
Die israelische Mehrheitsgesellschaft nimmt Metal bestenfalls als Horrorbild wahr. Und nicht nur, weil seine Protagonisten mit ihren Piercings, Tätowierungen und Dreadlocks die international abgesicherten Bürgerschreck-Codes perfekt imitieren. Sondern auch, weil das Genre in einem ständig mit religiösen Fragen beschäftigten Land wie Israel naturgemäß mit größeren Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat als in säkularen Gesellschaften. Die wenigen Black-Metal-Bands sind zwar noch so unbekannt, dass ihr Satanismus bislang niemanden beunruhigt. Betzefer aber mag ein Slangausdruck für „Schule“ sein, die Ähnlichkeit des Bandnamens zu den im Genre so beliebten Bezugspunkten Belzebub und Luzifer allerdings wird in Israel aufmerksam registriert, auch wenn sie der Band selbst bei der Auswahl ihres Namen nicht bewusst war.
So können Betzefer kaum mehr als einmal im Monat auftreten, und das auch nur in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Es gibt im ganzen Land kein einziges Label, das Metal veröffentlicht. Ihre ersten beiden EPs haben Betzefer komplett in Eigenregie herausgebracht und bislang immerhin tausendmal verkauft. Nicht nur Metal, der gesamte Rock-Underground wird systematisch von den Medien ignoriert. Der Grund, glaubt man der Band, ist die Tatsache, dass in der Metal- oder Punk-Szene im Gegensatz zum die Charts dominierenden Pop und dem im Aufschwung begriffenen HipHop nicht Hebräisch, sondern Englisch gesungen wird. Wenn man in diesem Falle von Singen sprechen kann: Tamir bellt und kotzt, wie üblich in der Branche, eher ins Mikrofon. Allzu israelisch klingt das nicht. Es gibt andere im Lande, die lokale Einflusse wie orientalische Klänge verarbeiten, nicht aber Betzefer. „Wir wollten nie groß in Israel werden“, sagt Cohen, „wir wollten immer eine universelle Sprache sprechen.“
Trotzdem werden auch Betzefer immer wieder eingeholt vom in der Region herrschenden Konflikt. Und halten sich heraus, so gut es geht. „Es gibt keine richtige Seite in dieser Auseinandersetzung“, meint Sänger Tamir, „und auch keine falsche.“ Trommler Berman „hört lieber eine gute CD als Nachrichten zu sehen“. Und Bassist Cohen sagt: „Ich bin unpolitisch.“ So unpolitisch, dass die vier einige Nachteile in Kauf genommen haben, um nicht mit einer Waffe in der Hand auf eine dieser Seiten gestellt zu werden. Inbar und Berman wurden zwar eingezogen, schafften es aber, nach einigen Monaten als verrückt aus der Armee entlassen zu werden. Tamir und Cohen haben sich von vornherein als psychisch krank ausmustern lassen. Anders ging es nicht in einem Land, das das Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht kennt.
„Ich war der Erste aus meinem Freundeskreis“, erzählt Tamir, „der nicht zur Armee gegangen ist.“ Das würde sich ändern mittlerweile, immer mehr Jugendliche versuchen, sich zu drücken, auch wenn ihnen ohne abgeleisteten Militärdienst alle traditionellen Aufstiegschancen in der israelischen Gesellschaft verbaut sind. Kein Problem hätten Tamir und seine Kollegen denn auch damit, das Land zu verlassen, „wenn es finanziell Sinn machen würde“. Die einzige verbliebene Alternative zum Erfolg in der Musik ist für Betzefer nun eh nur mehr eine Rückkehr in ihre McJobs.
Danach sieht es momentan nicht aus. Erste Auftritte in den Niederlanden und in Deutschland waren erfolgreich, die internationale Fachpresse lobt das Quartett, und selbst in Israel kommen zu ihren Konzerten mittlerweile regelmäßig mehr als 1.000 Fans. Die werden nicht nur angelockt von dem schmissigen Hochgeschwindigkeitsgegröhle, sondern auch von einer Haltung, die gerade eine ist, weil sie jede Aussage verweigert. „Wir machen Unterhaltung“, sagt Cohen, „wie spielen Rock ’n’ Roll, wir versuchen die Leute abzulenken.“
In einem Land, das so politisiert ist wie kein anderes auf der Welt, in dem so laut und gern gestritten wird wie nirgendwo sonst, bieten zwar auch Punk oder HipHop einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck, aber für Außenseiter scheint kein Entwurf momentan so verlockend wie der Extremeskapismus des Metal. „Es geht darum, anders zu sein“, sagt Matan Cohen.
Hinter den gewaltigen Gitarrenwänden, die er aufschichtet, verschwindet die Außenwelt, verschwindet der ausweglose Konflikt, verschwindet die Hoffnungslosigkeit. Und stellvertretend bellt und schreit und artikuliert Avital Tamir damit ein Unbehagen, das sich nicht in Worte fassen lässt. Lösungen gibt es nicht in Israel, nur Fluchtpunkte: Metal ist einer davon, so wie das Meer, das man dort hinten an der Autobahnauffahrt aber nicht mehr riechen kann.
Live: 29. 10. Geiselwind, 30. 10. Köln