Berliner Szenen: Nach dem Computer-Crash
Leere genießen
Letztens hat’s meiner Freundin den Computer zerschossen. Grausam war das. Aber jetzt hat sie eine neue Festplatte drin und ruft mich zu sich. „Mach so wie vorher“, sagt sie.
„Mach ich“, sage ich und lege auch gleich los, hänge die externe Festplatte an, die, auf die grad Backup gemacht wurde, als der Mac den Geist aufgab. Vielleicht ist da doch was zu retten. „Guck mal“, sage ich kurz später: „Fast alles da. Deine Dateien. Auch deine E-Mails.“ Ganz tatendurstig will ich auf „Time Machine“ klicken, damit der Mac sich alles zurücküberspielt, von wie’s vor dem Crash war, aber meine Freundin sagt: „Noch nicht. Mach erst mal das Mailprogramm auf.“
„Wieso?“
„Ich will das sehen! Gar keine E-Mails in meiner Inbox!“ Ihre Augen strahlen.
Ich nicke und schalte WLAN ab; so schlau bin ich dann doch. Sonst geht das Mailprogramm sofort online und ruft alle Mails ab: die tausend, die vor dem Crash im Posteingang waren, und noch mal zwanzigtausend dazu vielleicht.
„So viel?“, fragt meine Freundin entsetzt. „Ja“, sage ich, denn ich hab gezählt, mich durch ihre E-Mail-Server im Internet geklickt. So viel liegt dort rum, angesammelt über die Jahre.
„Und werden die alle erneut abgerufen, auch wenn du die tausend von vor dem Crash wieder draufmachst?“ Ich druckse rum, sage dann aber doch, wie es ist: „Keine Ahnung.“ Sie schweigt. Sie schweigt ziemlich lange, dann gibt sie sich’nen Ruck und steht auf. „WLAN abgeschaltet?“, versichert sie sich und drückt mir’ne Tasse Tee in die Hand. „Dann los. Lass uns genießen, bevor wieder voll ist. Mailprogramm an!“ Wir sitzen und schauen, meine Freundin und ich, bestaunen die gähnende Posteingang-Leere. „Okay“, sagt sie schließlich und seufzt. „Jetzt kannst du. Time Machine und dann WLAN, werden wir ja sehen. Eintausend oder zwanzigtausend – wieder voll ist voll, oder nicht?“ Joey Juschka
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