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Archiv-Artikel

Achse des Pop français von Guido Kirsten

Das Mutterschiff

Gut drei Jahre ist es nun her, dass die Compilation „Le Pop“ hierzulande das Wiederaufleben der Liebe zur französischen Popmusik einleitete. Diese Veröffentlichung war ein Glücksfall, zeigte sie doch den Nouvelle Chanson von seiner schönsten Seite und verband dabei einen Einblick in die aktuellen Produktionen mit Ausflügen in die Historie – mit dem ersten veritablen Indiehit („Le courage des oiseaux“ von Dominique A.) der neuen „Scène“.

Andererseits provozierte „Le Pop“ auch Missverständnisse. So handelt es sich bei der „Nouvelle Scène“ nicht um eine Szene im Sinne eines homogenen musikalischen Milieus, sondern um Musiker, die bis auf gewisse Ausnahmen nur wenig miteinander zu tun haben (wollen). Auch sind die meisten Künstler der Compilation in Frankreich wenig bekannt, während die größeren Stars fehlen. Das galt für die erste, gilt aber ebenso für die nun erschienene dritte „Le Pop“-Platte. Musikalisch spielt sie auf einem ähnlich hohen Niveau wie der Erstling. Neben den bekannteren Vincent Delerm, Thierry Stremler und Camille (als Stimme von „Nouvelle Vague“) sind vielversprechende Le-Pop-Neulinge wie Bastien Lallemant und Frédérique Dastrevigne mit von der Partie. Insgesamt dominiert eindeutig der Gesang und versinnbildlicht die Lebendigkeit der Liedtradition in Frankreich. Auf die bezieht sich der „Nouvelle Chanson“ mit der Geste großer Selbstverständlichkeit – und verspielter Ironie.

„Le Pop 3 – les chansons de la nouvelle scène française“ (Groove Attack)

Der ewige Flegel

Boogaerts war immer so etwas wie der Lausbub der Nouvelle Scène, der ewige Flegel, der damit kokettierte, nie erwachsen werden zu wollen. Sein Album „Super“ (1996) war ein früher Höhepunkt des jüngeren französischen Pop und den ersten Le-Pop-Sampler eröffnete er mit dem Hit „Ondulé“, was „gewellt“ heißt. Und so kann man sich auch Boogaerts Musik vorstellen, diese Mischung aus Reggae-Reminiszenzen und Minimal-Pop mit Boogaerts außergewöhnlichem Gesang, der sich zu einer verspielten, sich in Wellenbewegungen nach vorn schiebenden Chansonversion verschraubt.

So klingt auch Boogaerts neues Album „Michel“ – wenn die elektronischen Elemente auch zugunsten der akustikgitarrigen zurücktreten. „Michel“ ist keine Partyplatte, sondern zurückgenommen, einfach und schön. Der Gesang steht auch hier im Vordergrund, und ab und an gewinnt man den Eindruck, Boogaerts meine ernst, was und wie er da singt. Albernheiten wie das einminütige „Appelez les pompiers“ (Ruft die Feuerwehr!) sind die Ausnahme: Der grobe Unfug der ersten Platten ist augenzwinkernder Ironie gewichen. Und die Arrangements des Multiinstrumentalisten von einer Reife, die man ihm so wohl nicht zugetraut hätte. In Frankreich mutmaßt man angesichts dieser Platte schon das Unvorstellbare: Mathieu Boogaerts sei wohl erwachsen geworden.

Mathieu Boogaerts: „Michel“ (Groove Attack)

Die Diva

Françoiz Breut ist die (ganz undivenhafte) Diva des Nouvelle Chanson. Alle paar Jahre taucht sie plötzlich mit einem neuen traumhaften Album auf, für das sie sich von musizierenden Kollegen Songs wie Kleider auf den Leib schreiben ließ. Bis zur letzten Platte war ihr ehemaliger Partner Dominique A. der Chefausstatter. Auf ihrem neuen Album „Une saison volée“ stammen zwar nur noch zwei Songs (das wunderschön traurige „Km 83“ und „contourne-moi“) aus seiner Feder, aber die gehören neben den Stücken von Jérôme Minière (einem weiteren alten Le-Pop-Bekannten) auch zu den Höhepunkten der Platte.

Auffällig ist, dass sich die Haute Couture, die Françoiz Breut zur Schau trägt, internationalisiert hat. Längst sind es nicht mehr nur französische Größen, die die Breut hofieren, sondern auch Schweden, Italiener und Spanier, was es der Sängerin (aussprachetechnisch) nicht immer leicht macht. Insgesamt ist „Une saison volée“ weniger homogen als das Meisterwerk „Vingt à trente mille jours“, aber es ist wieder eine Platte, die mit jedem Hören wächst. Neben der erhabenen Stimme der Sängerin verdankt sich das vor allem ihrer Band. Die ist nicht nur tight, sondern vor allem rhythmisch und musikalisch extrem vielschichtig. So passiert im Hintergrund der Stücke einiges mehr, als das erste Hören offenbart. Françoiz Breuts musikalische Garderobe ist nämlich mehr als nur abwechslungsreich und elegant: Sie ist vor allem raffiniert.

Françoiz Breut: „Une saison volée“ (Groove Attack)