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Pech für Kellerkinder

In der Hauptschule sammeln sich Kinder, die kaum lesen können. Geholfen wird ihnen zu wenig

VON CHRISTIAN FÜLLER

Der Mann ist kein Schwarzseher, weiß Gott nicht. Er hat fast immer ein Lächeln auf den Lippen. Gestern aber konnte Manfred Prenzel nicht anders, als eine ernste Mahnung auszusprechen. „Es besteht bald die Gefahr, dass Teile der Bevölkerung nicht mehr die Fähigkeit haben, sich adäquat an der Demokratie zu beteiligen“, sagte er.

Geht es da etwa um die Politikverdrossenheit der Bürger? Nein, wovon Manfred Prenzel spricht, ist ganz simpel die Frage, ob jemand überhaupt lesen kann. Die Fähigkeit eines Menschen, „sich in Zeitungen ausreichend zu informieren, um als Staatsbürger an der öffentlichen Diskussion teilzunehmen“.

Für große Gruppen der Bevölkerung ist das nicht mehr gewährleistet. Manfred Prenzel schätzt, dass die Risikogruppe der nicht zur Demokratie Fähigen in manchen Bundesländern künftig bei 30 Prozent liegen könnte – unter sozial Schwachen ist die Rate noch deutlich höher. „Wir haben da ein Gerechtigkeitsproblem“, sagt Manfred Prenzel.

Mahner Prenzel weiß genau, wovon er spricht. Er ist der oberste deutsche Pisa-Forscher, der gestern den Pisa-Bundesländervergleich 2003 vorstellte.

Was Prenzel den 16 deutschen Kultusministern da auf etwa 400 Seiten präsentierte, war höchst unerfreulich. Zwar haben sich die rund 45.000 SchülerInnen tapfer geschlagen – was ihr Können anlangt. Das heißt, die getesteten 15-Jährigen legen in ihren Leistungen seit Pisa 2000 zu. Aber der Anteil der Gruppe sehr schlechter Schüler bleibt unverändert hoch, zu hoch.

In Bayern sind es nur 14 Prozent Schüler, die nicht richtig lesen können. Das ist schon alarmierend genug. Denn Bayerns Pisa-Konkurrenten wie Finnland, Korea oder Kanada zeichnet aus, dass sie besonders wenige von den besonders schlechten Schülern haben, jeweils um die sieben Prozent. Die deutschen Pisa-Schlusslichter können von solchen Zahlen nur träumen. Hamburg zählt fast 28 Prozent, in Bremen liegt der Anteil der Schlechtleser bei knapp 30 Prozent. Für den Unterricht bedeutet das: Solche Schüler erzielen praktisch keine Lernfortschritte mehr (siehe Tabelle).

Solche Sorgenkinder gibt es weltweit. Das Besondere in Deutschland ist, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit weiß, woher sie kommen – aus unteren und bildungsfernen Schichten. Und man weiß auch, wo diese SchülerInnen landen: in den Bildungsghettos, den Hauptschulen. Dort zählen die Forscher 50 Prozent von Schülern auf dem Pisa-Leseniveau 0 und 1. Unter Pisa-Wissenschaftlern sieht man das Minimum an Lesefähigkeit fürs Weiterlernen beim Pisa-Niveau 2 – sonst ist eine reguläre Teilnahme am Unterricht im Grunde nicht möglich. Die Pisa-Forscher haben inzwischen auch zwei Städte ausfindig gemacht, in denen der soziale Status den Misserfolg beim Lernen gewissermaßen vorhersagt: Hamburg und Bremen, wo „10 Prozent der Bevölkerung über sehr geringe sozioökonomische und kulturelle Ressourcen verfügen“.

Manfred Prenzel weiß sehr genau, wie man den Risikoschülern helfen könnte – und den deutschen Schulen. „Wir müssen die unteren anheben“, sagt er. Das heißt: Es müsste spezielle Förderprogramme für schwache Schüler geben, die so rechtzeitig einsetzen, dass möglichst kein Schüler verloren geht.

Eine solche Förderphilosophie kennt die deutsche Schule allerdings nicht. Für sie gilt immer noch das Prinzip der Auslese – selbst in der Hauptschule. Prenzel und seine Pisa-Kollegen haben jene Schülertests speziell ausgewertet, in denen Sitzenbleiber untersucht wurden. Das Ergebnis: „Die Wiederholungsschleifen tragen in keiner Weise dazu bei, Kompetenzdefizite bei Schülern auszugleichen.“ Sie sind sinnlos.

Die Kultusminister freilich haben keine Debatte über das Sitzenbleiben zugelassen. Was sie allerdings getan haben, war erstmals offiziell einen KMK-Beamten nach Frankfurt zu entsenden – zum Kongress der echten, der erwachsenen Analphabeten.

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