piwik no script img

Von Chum zum Quantensprung

BEWEGUNG Das Festival Tanz im August nimmt in diesem Jahr Kurs auf Asien. Außerdem gibt es Erhellendes zum Thema bildende Kunst und Choreografie sowie die letzten Heldinnen des Postmodern Dance

Das diesjährige Festival vermittelt zwischen Experten- und Laufpublikum

von Astrid Kaminski

Es ist gar nicht so leicht, in Berlin ein internationales Festival wie Tanz im August (TiA) zu kuratieren. Die Stadt ist längst selbst zur internationalen Tanzhochburg geworden, Tendenz anhaltend. (Auch wenn es Abtrünnige wie Adam Linder gibt, die gerade mal L. A. ausprobieren).

Im Vorjahr entschied die für drei Jahre engagierte TiA-Kuratorin Virve Sutinen, eher komplementär auszuwählen und keine in Berlin produzierten Stücke zu zeigen, in diesem Jahr ist das anders: die Salonperformerin Isabel Lewis, die „Environmentkünstler“ deufert & plischke und Constanza Macras (mit pensionierten chinesischen Zirkusartisten) sind dabei. Insgesamt werden 20 Stücke in einer ausgewogenen Mischung aus mittleren und kleinen Besetzungen präsentiert, das entspricht dem Rahmen des Budgets. 600.000 Euro sind es, seit diesem Jahr wurden 200.000 aus der Kasse des Hauptstadtkulturfonds aufgestockt. Das ist ein Erfolg, heißt aber auch: etwa eine Millionen weniger als beispielsweise Eric Gauthiers neues Festival „Colours“ in Stuttgart, fast vier Millionen weniger als Europas größtes Tanzfestival ImPulsTanz in Wien. Das liegt nicht nur an den Fördermitteln, sondern auch daran, dass sich TiA mit Sponsoren zurückhält. Oder die sich.

Virve Sutinen, die sich bei ihrem Antritt im letzten Jahr als Ex-Punk vermarktete, legt in diesem Jahr vor allem aber ein gut sortiertes Trend-Kuratieren an den Tag: Sie greift den aktuellen Hype um die Verbindung von Tanzperformance und bildender Kunst auf und legt Wert auf Stücke, die zwischen Experten- und Laufpublikum vermitteln können: indem sie thematisch und inhaltlich hohe Ansprüche stellen, visuell und performativ aber sinnlich zugängliche Bedingungen schaffen. Dafür steht schon die Eröffnung mit Lucinda Childs „Available Light“ von 1983, einem – retrospektiv gesehen – Paradestück des späteren amerikanischen Minimal, für das John Adams die Musik (seine bis dahin längste), Frank Gehry das Bühnenbild (ein Doppeldeck) geliefert hat. Nach „Einstein on the Beach“, der bekanntesten Choreografie von Childs, die letztes Jahr in einer Wiederaufnahme an die Berliner Festspiele kam, dürfte diese Arbeit ein weiteres Mal den aktuellen Geschmack treffen – weit mehr übrigens als Lucinda Childs neuere Arbeiten!

Eine Generationsgefährtin ist Rosemary Butcher, die ihre Impulse ebenfalls direkt aus dem berühmten US-amerikanischen Judson-Dance-­Movement schöpft. Auch sie hat für ihre Kollaborationen große Namen aus Architektur und Musik zu bieten, etwa Zaha Hadid und Michael Nyman. Butcher ist nun zum ersten Mal in Berlin und hat einiges aus ihrem Archiv mitgebracht.

Im HAU Hebbel am Ufer zeigt sie „SCAN“, eine Licht-Kunst-Choreografie, in der Akademie der Künste wird ihr eine Ausstellung mit Dokumenten und Installationen gewidmet, darunter „After The Last Sky“ von 1995, die nach einem Werk Edward Saids benannt ist und in England als erste choreografische Installation gilt.

Mit der Einladung dieser Werke ruft die Kuratorin Virve Sutinen gleichzeitig in Erinnerung, dass die Kollaboration zwischen bildender Kunst und Tanz, auf eine, wie sie sagt, „konstitutionelle Komponente der künstlerischen Moderne“ zurückgeht. Nachdem praktisch alle großen Museen sich in letzter Zeit (Tanz-)Performer*innen ins Haus geholt haben, dreht Sutinen den Spieß bei Tanz im August einmal um. Als spielerisches Experiment lässt sie eine Kollektion der Privatsammlung Haubrok auf die Bühne des HAU 1 stellen.

Ein Schwerpunkt des Festivals, den Sutinen aber keinen Fokus nennen will, liegt auf asiatischen Choreografien – was vielleicht auch mit als Erfolg der tat- und finanzkräftigen auswärtigen Kulturpolitik asiatischer Länder wie Südkorea gelten kann. „Chum“, heißt, wie das Festivalmagazin schreibt, Tanz auf Koreanisch, und das verspricht Schwung. Das Angebot der Choreograf*innen aus China und Korea reicht von rituellen Anleihen über Popkulturelles zu Fragen des Posthumanism. Dazu gibt es zwei enzyklopädisch angelegte Projekte: Die aus den Philippinen kommende Eisa Jocson eignet sich in ihrem Solo „Host“ sämtliches Vokabular des Sex-sells-Business an; der ursprünglich aus Singapur stammende spekulative Designer und Choreograf Choy Ka Fai hat ein Videoarchiv mit 100 Tänzer*innen aus Japan, Singapur, Indonesien, Indien und China zusammengestellt. Benannt ist seine Arbeit nach dem Roman „Soft Machine“ des Beat-Autoren William S. Burroughs, worin er der Frage nachgeht, wie Mechanismen und Systeme dem menschlichen Körper implementiert werden können.

Back to Europe geht es bei ­Gilles Jobin, der ein Stipendium am schweizerischen CERN absolvierte, dann in umgekehrter Richtung darum, ob sich Quantenphysik tanzen lässt. Also schnell noch mal die Gleichung zum Bahndrehimpulsoperator nachschauen, bevor Tanz im ­August heute Abend startet!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen