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Clichy-sous-Bois ist nicht Kreuzberg

betr.: „Die Grenzen neuer Heimat“, taz vom 4. 11. 05

Auf den ersten Blick scheint Feddersens Polemik bezüglich der Banlieue-Krawalle eine durchaus nicht unsympathische Facette zu haben: In Deutschland, dem Jammertal, ist doch nicht alles so schlecht, siehe da, sogar die viel gescholtene Einwanderungspolitik hat ihr Gutes – ohne „Fleiß keinen Preis“ führt zum Erfolg in Form von angepasster Eingliederung … Abgesehen davon, dass hinsichtlich dieses deutschen Erfolgsmodells noch einiges zu debattieren wäre: Ihre „Analyse“ der Pariser Situation geht am Wesentlichen vorbei.

Die Situation der Pariser Vorstädte ist nicht mit der deutscher Städte zu vergleichen – das Abschieben der jeweiligen „classes dangereuses“ in konzentrisch um Paris angelegte Außenbezirke hat eine lange Tradition, entsprechende Explosionen und gewalttätige Manifestationen ebenso. Seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts analysieren französische Sozialwissenschaftler die Lage in den Banlieues als „Zeitbombe“: Mittlerweile fast exklusiv aus Migrantenmilieus bestehende Viertel sind seit der zweiten oder sogar dritten Generation mit struktureller Arbeitslosigkeit konfrontiert, d. h. die randalierenden Jugendlichen kennen ihre Eltern oder teilweise sogar ihre Großeltern nur als Arbeitslose, Angebote vonseiten des Staates sind geringfügig bis inexistent. Die Adresse der Vorstadt wirkt als selektives Stigma bei der Bewerbung um Job oder Lehrstelle. Was die „Wertedebatte“ in diesen Bezirken betrifft, so erscheint der dealende „große Bruder“ im Mercedes Cabriolet wesentlich attraktiver als Rollenmodell als eine Karriere als uncooler Hilfsarbeiter oder „Autoschrauber“. Die gute Nachricht ist, das z. B. trotz aller Widerstände eine aufsteigende Schicht von jungen Unternehmern beispielsweise maghrebinischer Herkunft dabei ist, sich einen Platz im bürgerlichen Milieu zu schaffen (republikanisches Modell).

Wenn es aber nun so richtig „brennt“ , so sollte vielleicht zuerst in der beispiellos dumm-dreisten Provokation eines karrieresüchtigen Innenministers gesucht werden, der soziale Brennpunkte seit Wochen „besucht“ und die dort lebenden Menschen provoziert, indem er sie als „voyous“, als „Schurken“ und „Pack“, tituliert, das es mit dem „Kärcher“ (ja, es ist der Druckluftreiniger gemeint) zu säubern gilt. Was jetzt passiert, ist nicht nur das Versagen eines republikanischen Modells, sondern das vorhersehbare Ergebnis eines „Law and Order“-Muskelspiels eines sich selbst überschätzenden Demagogen im Vorwahlkampf. RALF ENGEL, Dipl.-Soziologe, Paris

Wenn man über Integration in Frankreich spricht, dann muss man von ganz anderen Voraussetzungen, Anforderungen sowie einem anderen Sozialsystem ausgehen als in Deutschland. Nirgends wird das Ausmaß der sozialen Spannungen deutlicher als in den endlosen, hoffnungslosen Betonwüsten der französischen Großstädte. Das ist hartes Pflaster! Aber wo bitte gibt es in Deutschland ein Stadtviertel, das auch nur annähernd vergleichbar ist im Ausmaß an Trostlosigkeit und Armut beispielsweise der Quartiers Nord in Marseille? Bestimmt nicht in Kreuzberg!

Die Grundlage Ihrer Argumentation ist die „proletarische Migrantenquote“, die in beiden Ländern ähnlich sei. Ich nehme an, dass Sie hier von dem Anteil ausländischer Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen an der Gesamtbevölkerung sprechen. Die Einbürgerung der Einwanderer in Frankreich als Citoyen macht es allerdings unmöglich, die Integrationsanforderungen nur aus dem Prozentsatz des Ausländeranteils in der Bevölkerung abzuleiten. Es gibt keine Statistiken über Franzosen mit ausländischer Herkunft. Das würde dem französischen Verständnis von Staatsbürgerschaft widersprechen. Im Alltag dagegen zählen auch in Frankreich zuerst soziale Herkunft, Hautfarbe, Name und nicht der Pass.

Den aktuellen Konflikt in Frankreich verallgemeinernd auf eine „Übung, die Opferkarte zu ziehen“, zu pauschalisieren ist populistisch. Erstens ignoriert diese Behauptung, alle Menschen ausländischer Herkunft, die sich den sozialen Aufstieg erkämpft haben, und zweitens all jene, die dies zwar nicht geschafft haben, aber die Krawalle und Gewalttaten aufs Äußerste verurteilen. Wenn wir schon vergleichen wollen, dann müssen wir einen differenzierteren Blick auf die unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen werfen. Dann müssen wir uns beispielsweise auch fragen, warum man an französischen Universitäten sehr viel mehr junge Menschen mit ausländischer Herkunft sieht als an deutschen Hochschulen. Ich schätze die taz sehr aufgrund ihrer kritischen Auseinandersetzung. Ich denke, dass die Argumentation und der unreflektierte und unkritische Umgang in diesem Artikel weit unter dem sonstigen Niveau der taz liegen. INGA RAHMSDORF, Berlin

Wie kommt Jan Feddersen auf die Idee, Clichy-sous-Bois mit Kreuzberg zu vergleichen? Nur weil in beiden Vierteln überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund leben? Statt unausgegorene Vergleiche zwischen deutscher und französischer Einwanderungspolitik anzustellen, sollte er sich vielmehr fragen, wieso die Krawalle nicht von Vierteln innerhalb von Paris ausgehen, die ebenfalls von Einwanderern geprägt sind, wie etwa die Gegend um Montmartre.

Hat der Autor jemals die französischen Trabantenstädte, meist Ghettos mit miserabler Infrastruktur und mangelnder Verkehrsanbindung, aus der Nähe betrachtet? Bei den Krawallen der letzten Tage handelt es sich nicht in erster Linie um eine kulturell-religiös geprägte Auseinandersetzung, sondern um eine gesellschaftliche. Nicht umsonst spricht man in Frankreich in diesem Zusammenhang von „les jeunes“ und nicht von „les immigrés“. Viele „Sprösslinge muslimischer Clans“ aus Clichy würden sich sogar über „Ausbildungsplätze im Autoschraubergewerbe“ freuen, haben aber oft nicht den „richtigen“ Namen oder die „richtige“ Adresse. Mit der „Opferkarte“ hat das nichts zu tun. Und Rassismus mit der „besseren Geschäftsidee“ bekämpfen zu wollen ist eine unzulässige Banalisierung eines gesellschaftlichen Phänomens.

Das Beispiel Deutschland zeigt: je höher die Einwanderungshürden, desto besser die Integration. Damit verkennt der Autor jegliche historischen Differenzen zwischen den beiden Staaten. Hätte Frankreich etwa Millionen Menschen erst kolonialisieren, ihnen damit französische Sprache, Schulsystem und Verwaltung aufzwingen, sie in der französischen Armee kämpfen lassen sollen, um diesen Menschen dann die französische Staatsbürgerschaft vorzuenthalten?

ULRIKE VALLAUD-MERSCH, Freiburg

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