Interview: "Den Konservativen fehlt ein Repräsentant"

Die Konservativen werden die Ablösung des klassischen Familienbildes nicht kampflos hinnehmen werden, meint der Publizist Alexander Gauland

"Den Konservativen fehlt ein Repräsentant"
Die Debatte in der Union über von der Leyen und die Kitapolitik zeigt, dass die Konservativen die Ablösung des klassischen Familienbildes nicht kampflos hinnehmen werden, meint der Publizist Alexander Gauland

taz: Herr Gauland, die Debatte über von der Leyens Kita-Initiative war für CDU-Verhältnisse ungewöhnlich offen, hart und kontrovers. Warum?

Alexander Gauland: Weil es um einen Wertekonflikt geht. Die katholische Kirche sagt: In den ersten Lebensjahren gehört die Mutter zum Kind. Wer nicht aus finanziellen Gründen gezwungen ist, arbeiten zu gehen, soll also zu Hause bleiben. Deshalb stehen die Konservativen in der CDU neuen Kitaplätzen zwiespältig gegenüber.

Ist das der Beginn eines Kulturkampfs - großstädtische Liberale gegen ein kirchlich geprägtes Traditionsmilieu?

Nein, so tief geht das nicht. Aber es ist ernst. Denn die Union war immer dann erfolgreich, wenn ihre drei Flügel - die Wirtschaftsliberalen, die Konservativen und der soziale Flügel - ausreichend sichtbar waren. Nach dem Leipziger Parteitag war der soziale Flügel fast weg, jetzt hat der konservative Probleme. Außerdem hat er, besonders nach Schönbohms Rückzug, keinen Repräsentanten mehr. Früher gab es Dregger oder Kanther, die dieses Milieu vertraten. Solche Figuren fehlen heute.

2002 hat die Union die Wahl bei den Frauen in den Großstädten verloren. Von der Leyen ist für die Union also auch eine machtpolitisch notwendige Modernisierung ...

Vielleicht. 2005 ist die Union auch mit einer Modernisierungskampagne angetreten - und hat nur 35 Prozent bekommen ...

Wegen Kirchhof, nicht wegen Kitas!

Ja, aber so, wie Kirchhof für den sozialen Flügel damals ein Provokation war, so ist von der Leyen heute für die Konservativen eine Provokation.

Verstehen Sie die Aufregung der Konservativen?

Ja, durchaus. Denn es geht ja nicht nur um mehr Kitas - es geht um ein neues Familienleitbild. Von der Leyens Familienpolitik zielt gerade darauf, Frauen, die finanziell gesehen zu Hause bleiben könnten, Beruf und Familie zu ermöglichen. Gerade sie sollen die Kitas nutzen. Das kann die Kirche nicht billigen. Darum dreht sich der Streit - nicht um Geld. Denn faktisch ist es doch so, dass es in Bayern relativ mehr Kitaplätze gibt als in Nordrhein-Westfalen.

Es ist ein Streit um ein Symbol: Von der Leyen versucht, das sehr starre deutsche Mutterbild zu relativieren ...

Ich würde das nicht "deutsches Mutterbild" nennen. Der Streit entzündet sich an der Haltung: Es ist gut, wenn auch sehr kleine Kinder in die Krippe gehen. Das wird zwar nicht ausgesprochen - ist aber der Kern. Eigentlich möchte von der Leyen, dass alle Kinder in die Krippe gehen.

Wirklich alle?

Zumindest die meisten.

Die wissenschaftlichen Studien zeigen nicht eindeutig, ob es für die Entwicklung von Kindern besser ist, bei den Eltern zu sein oder in Kitas zu gehen - wobei die Qualität der Kitas natürlich wesentlich ist. Die Aufregung in der CDU stammt eher daher, dass von der Leyen mit dem, was man früher Emanzipation nannte, Ernst macht. Frauen sollen Beruf und Familie vereinbaren können und nicht auf die Mutterrolle fixiert sein. Das bringt Konservative noch immer in Rage.

Wenn von der Leyen nur argumentieren würde, dass wir mehr Kitaplätze brauchen, wäre die Aufregung nicht halb so groß. Darum geht es aber nicht - siehe Kitaangebot in Bayern und NRW. Es geht um eine Ablösung des klassischen Familienbildes. Und wenn es künftig so viele Krippenplätze gibt - gilt dann nicht die Mutter, die zu Hause bleibt, als Zurückgebliebene, die das falsche Leben lebt? Dies scheint im Hintergrund auf, ohne dass es zur Sprache kommt. Und das können Kirche und Konservative nicht kampflos akzeptieren.

Spielt, als Unterstrom, dabei nicht etwas anderes mit? Seehofers Affäre, Wulffs Scheidung, Ole von Beusts Homosexualität zeigen, dass die Fundamentalliberalisierung des Lebensstils auch bei der CDU-Spitze endgültig angekommen ist. Das aber hat die CDU sich selbst nie erzählt - deshalb braucht der Affekt dagegen jetzt ein anderes Ventil ...

Nein, ich glaube das hat mit der Kitadebatte nichts zu tun. Zumal von der Leyen mit ihrem gücklichen Familienleben und ihren sieben Kindern für etwas anderes steht. Richtig ist, dass in der CDU heute öffentlich werden kann, was früher im Geheimen geschah. Dass nun schärfer zwischen politischen und privaten Beziehungen unterschieden wird, ist eine Rückkehr zu der alten bürgerlichen Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Diese Trennung war ja mal ein Grundsatz bürgerlicher Politik überhaupt.

Die Traditionsmilieus der Union haben diese Liberaliserung vollständig akzeptiert?

Nicht vollständig. Das zeigt ja die Kritik der katholischen Kirche an Seehofer. Aber die Tendenz ist eindeutig. Dass Beziehungen von Spitzenpolitikern scheitern, wird als normal akzeptiert.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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