Debatte: Die Verwandten der Gutmenschen

Demokratieexport per Regimewechsel? Im Irak sind die Neokonservativen gescheitert. Ihr Debakel bringt auch den linksliberalen Menschenrechtsbellizismus in Schwierigkeiten

Der bemerkenswerte Dialog trug sich knapp vor der Hinrichtung Saddam Husseins zu. Ob die US-Regierung denn nicht befürchte, dass die Exekution weitere Gewalt im Irak auslösen könne, wurde Tony Snow, Sprecher von Präsident George W. Bush gefragt. Die Iraker, entgegnete Snow herablassend, "würden jeden Anlass wahrnehmen, um gewalttätig zu werden". Eine eigenartige Weise, über ein Volk zu sprechen, dem man gerade die Freiheit bringen wollte, dessen Land eben noch zum Leuchtturm der Demokratie in der arabischen Welt hatte werden sollen.

Auch auf Seiten der neokonservativen Demokratie-Export-Ideologen ist man bitterböse auf die Befreiten. "Wir haben ihnen eine Republik geschenkt, aber sie sind nicht fähig, sie zu bewahren", schrieb Charles Krauthammer jüngst in der Washington Post. "Die wirkliche Ursache für das Problem sind die Iraker und ihre politische Mentalität."

Doch nicht alle Neokonservativen (Neocons) geben den Irakern die alleinige Schuld am Desaster. Manche, wie etwa Richard Perle oder David Frum, beklagen, eine an sich gute Idee sei durch Inkompetenz der US-Regierung diskreditiert worden. Wären ausreichend Soldaten in den Irak kommandiert, wären nicht Fehler am laufenden Band begangen worden, der Irak hätte zu einer Blüte der Demokratie werden können.

George W. Bush wiederum will von einem Strategiewechsel offenbar dennoch nichts wissen. Hatte man nach dem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen und nach dem spektakulären Report der Iraq Study Group um den ehemaligen Außenminister James Baker eine Renaissance klassischer "Realpolitik" erwartet, setzt Bush im Herbst seiner Präsidentschaft auf die bisher schon gescheiterten Konzepte und auf Polarisierung: noch mehr Soldaten, noch mehr Konfrontation - beispielsweise mit dem Iran.

Der harte Kern der verbliebenen Neocons feiert Bush schon als "letzten Neokonservativen in der Regierung". Der "Courage des Präsidenten, seiner Entschlossenheit, jenen zu widerstehen, die nun einen Rückzug fordern, können wir nur applaudieren", formulierten die beiden Neocon-Masterminds William Kristol und Robert Kagan zuletzt in ihrem Leibblatt, dem Weekly Standard. Freilich: Auch Bush redet nicht mehr von einem "demokratischen Irak" - das bescheidene (wenngleich ebenso utopische) Ziel ist nun ein "stabiler Irak".

Doch die etwas unübersichtliche Debattenlage unter den Anhängern einer aktivistischen imperialen Außenpolitik der USA macht nur offensichtlicher, dass die Idee ziemlich zerzaust dasteht, mit militärischer Gewalt Demokratie zu exportieren, Despoten zu stürzen und der Liberalität eine Bresche zu schlagen. Das ist keine Kleinigkeit. Vor drei Jahren noch war es vielleicht die einflussreichste politische Idee im Westen. Und sie wurde ja nicht nur vom neurechten Klüngel um den US-Präsidenten vertreten. Die Argumentationsreihe ging in etwa so: Krieg ist nicht schön, aber es gibt Schlimmeres als Krieg - Regimes, die die Menschenrechte mit Füßen treten, Soldatesken, die Genozide anrichten. Das alte realpolitische Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten würde nur dazu führen, dass man Verbrechen toleriere. Militärische Interventionen dagegen könnten da und dort das Gute in der Welt durchsetzen und das Böse bekämpfen. Und: Ohne die ordnende Gewalt des imperialen Hegemons USA gehe es ohnehin nicht.

Diese Meinung vertraten auch eher linksliberale Denker wie der amerikanische Publizist Paul Berman oder der kanadische Politiker Michael Ignatieff, der bis letztes Jahr eine Professur für Menschenrechtspolitik in Harvard innehatte. Selbst in Europa verfocht eine glamouröse Schar von Autoren - von Bernard-Henri Levy bis Hans Magnus Enzensberger - diese Auffassung. Und mag der Mainstream der Linken und Linksliberalen in Europa im konkreten Fall des Irak auch mehr zur Antikriegshaltung geneigt haben, so war das, ehrlich gesagt, doch eher eine taktische Differenz. Bei anderen Anlässen wie den ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo und auch noch während des Afghanistankrieges 2001, war der linksliberale Menschenrechtsbellizismus vom Neokonservativismus mit bloßem Auge kaum zu unterscheiden. Das soll nicht heißen, dass es zwischen beiden keine Differenz mehr gab, aber es war eben nur eine ziemlich kleine.

Der Irakkrieg ist deshalb nicht nur ein Debakel für Bushs neokonservative Kamarilla. Er markiert auch ein Problem für den Menschenrechtsbellizismus.

Pointiert gesagt, hat die Malaise, in die die USA geraten sind, eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite: In vorschnelle militärische Abenteuer wird sich so bald niemand stürzen wollen. Die schlechte Seite: Der nächste autoritäre Herrscher, der einen Teil seiner Bevölkerung massakrieren will, darf sich vergleichsweise sicher fühlen - sicherer als das beispielsweise Miloðevic durfte. Auch, weil USA, Nato und EU militärisch an der Grenze ihrer Kapazitäten angelangt sind - aber nicht nur deswegen.

Zudem hat sich wieder die Meinung durchgesetzt, dass man mit Krieg bestimmte Dinge ziemlich leicht tun kann - Armeen besiegen, Diktatoren stürzen. Etwas anderes ist dagegen so kaum zu erreichen - demokratische Kultur in eine Gesellschaft, die Demokratie nie kannte, hineinbomben. Besonders aussichtslos ist das Unterfangen, wenn eine Gesellschaft nur von einem autoritären Staat zusammengehalten wurde, ansonsten aber in ethnische und regionale Fragmente zerfällt.

Es ist lebensgefährlich, in einer Diktatur zu leben. Aber es ist mindestens ebenso lebensgefährlich, in einem "failed state" - einem "gescheiterten Staat" - zu leben. Den "Befreiten" tut man keinen großen Gefallen, wenn man ihre Despotie in einen "gescheiterten Staat" verwandelt, wie das die USA mit dem Irak getan haben.

Grundsätzlich birgt freilich jede militärische Intervention die Gefahr in sich, ein in machttechnischer Hinsicht intaktes Staatswesen in einen "failed state" zu verwandeln, in dem Chaos, Anarchie, endemische Gewalt um sich greifen. Da das im Irak offenkundig geworden ist, beginnt sich auch der Begriff des "Realismus" wieder zu wandeln. Bis in die achtziger Jahre galt die kalte, auf Stabilität orientierte diplomatische Bündnisstrategie als "realistisch" - die nannte man damals "Realpolitik".

Irgendwann in den neunziger Jahren schien die militärische Logik den Adel des Realismus auf ihrer Seite zu haben. Als realistisch galt, die Ursache von Konflikten mit bewaffneter Macht zu beseitigen, die Anhänger von Verhandlungslösungen schienen plötzlich als Illusionisten, als Verwandte der verpönten Gutmenschen. Das dreht sich jetzt wieder.

Es ist gut, wenn die Skepsis gegenüber der vermeintlich schnellen, einfachen militärischen Lösung wieder wächst. Aber es liegt darin auch eine Gefahr. Die Gefahr nämlich, dass die Welt bei einem Massaker wie in Srebrenica 1995 wieder tatenlos zusieht. ROBERT MISIK

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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