Kolumne: Gezzzzzzzzzzzzzzzielte Tötung

Wie mich die Stechmücken lehrten, meinen inneren Innenminister zu überwinden.

Gerade hatte ich die höchste Sprosse der Leiter in meinem Wohnzimmer erklommen, um mit einer alten Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Spülwasser vom Oberlicht zu wischen, als sich mir unvermittelt der tiefere politische Sinn dieser auf den ersten Blick doch recht stumpfsinnigen Tätigkeit des Fensterputzens enthüllte: Glasnost!

Durch das Putzen klärt sich der Blick aus der Wohnung hinaus in die Welt. Umgekehrt kann nunmehr auch alle Welt die Vorgänge in meiner Wohnung inspizieren, ohne dabei von renitent verstaubten Fensterscheiben behindert zu werden. Maximale Transparenz! Wieder und wieder dotzte eine ratlose Wespe gegen die Scheibe, ich öffnete generös und ließ sie fliegen. Wäre ich nicht Bewohner, sondern Präsident meiner vier Wände, ich könnte mich einer migrationsfreundlich-liberalen Staatsführung rühmen, dachte ich dort oben auf meiner Leiter - bis ich die Marienkäfer entdeckte.

Zwar hatte ich diese seltsam lethargischen Kameraden schon häufiger zu Gast, aber stets nur vereinzelt. In einer verborgenen Ecke des Fensterkastens aber drängten sie sich nun in Trauben, ein ausgehungertes Rudel mutierter Marienkäfer, blass und weitgehend punktfrei. Der Wind muss sie in mein Wohnzimmer getrieben haben, vor Jahren schon, und seitdem pflanzten sie sich in ihrer illegalen Kolonie munter fort, von Generation zu Generation immer weiter degenerierend. Mich packte der Ekel, zumal sich die Käfer ihrer Abschiebung ins Freie hartnäckig widersetzten: "Wie ihr wollt", grollte ich und schnappte mir den Staubsauger: "Dann ab nach Guantanamo!"

Denn dort, im dunklen Staubbeutel, landen bei mir nur die allerübelsten Subjekte, feige Asseln, wendige Tausendfüßler, bärtige Kellerspinnen - alles, was mir Angst macht, wird kurzerhand weggesaugt. Ohne Anhörung, ohne Prozess. Mag sein, dass dabei manchmal auch ein unschuldig zitternder Weberknecht kollateral ins Rohr gerät. Wo gehobelt wird ...

In der Nacht dann, so gegen ein Uhr, wurde ich mir jäh meiner Verwundbarkeit bewusst. Eine Moskito hatte mich in die Armbeuge gestochen, und nun lag ich wach, empfindlich getroffen, und lauschte ihrem zornhohen Summen, das eigentlich mehr so ein Singen war, mit kastratenhaften Obertönen, wie ein in der Ferne säuselnder BMW-Motorradvierzylinder auf Standgas, und es kam und ging und war partout nicht lokalisierbar. Was für ein feiger Anschlag! Der ground zero, die quaddelige Einstichstelle, rötete sich und juckte. Gesummse. Nein, bei dem Terror war kein Schlaf zu finden.

Also gab ich mich ganz meiner inneren Schäublewerdung hin, ging von der defensiven Gefahrenabwehr über zur aggressiven Prävention, sprich: Ich stand auf, machte das Licht an und erstmal alle Grenzen dicht. Bei fest verschlossenen Fenstern und Türen griff ich mir die taz und widmete mich der Rasterfahndung. Dort oben neben der Lampe? Papiere bitte! Ach, eine harmlose Stubenfliege nur. Aber was flatterte denn da vorbei? Eine Motte, vermutlich auf dem Weg zu einem konspirativen Fressen in meinem Kleiderschrank. Gezielte Tötung war jetzt angesagt. Mit einem präzisen Schlag verwandelte ich die potentielle Gefährderin in ein Staubwölkchen. Inzwischen war auch die beste Freundin von allen erwacht und verlangte zu wissen, was, bitteschön, ich da eigentlich treibe.

Sorgenvoll blickte ich auf ihr gefährdetes Fleisch herab und erklärte, alles geschähe nur zu ihrem Besten und sie solle doch getrost weiterschlafen. Ich sei nur dabei, die Wohnung an eine veränderte Gefährdungslage anzupassen. Ihr aber war es entschieden zu stickig, ich solle auf der Stelle das Fenster wieder öffnen, und im übrigen könne es doch wohl nicht sein, dass mein Ringen um einen sicheren Schlaf uns beide am Ende um denselben brächte. Logisch, leider.

Lange lag ich noch wach, während ich die Biester gewähren ließ und grübelte: Das Prinzip der Stechmücke ist 170 Millionen Jahre alt. Sie sticht nur, wenn sie schwanger ist, weil sie die Proteine aus meinem Blut für ihren Nachwuchs braucht. Ursula von der Leyen wäre stolz auf mich.

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