die wahrheit: Adenauer und andere Palaverer

Eine Hör- und Seh-Reise in die Steinzeit des bundesdeutschen Parlamentarismus

Rheinisch lernen mit Adenauer? Nur was für Vierjährige Bild: dpa

Dass Konrad Adenauer, der Erbauer Kölns, Erschaffer der Bundeswehr und "Ersatzkaiser", mit dem aktiven mündlichen Wortschatz und dem grammatischen Repertoire eines Fünfjährigen auskam, ist so weit bekannt. Dass den Opportunisten und Parvenü, der beim Abitur schwer gemogelt und nie seinen Doktor gebastelt hatte, den Titel jedoch herumtrug wie ein russischer General den Ordensbaum am Revers, eine katastrophale Fremdsprachenkenntnis und eine bemerkenswert klobige Aussprache ("soffjettisch") nicht daran hinderten, den Iwan praktisch im Alleingang in die Schranken zu weisen, dürfte gleichfalls nicht neu sein. Aber dass dieser schlichte Sack, der ein trivialer Amtsmensch mit braunkohlebaggergroßem Ego und monströsem Machtinstinkt war, keineswegs über die ihm beharrlich nachgesagte "ironiebegabte Nüchternheit" verfügte, das macht Karl-Heinz Wockers und Claus Heinrich Meyers "legendärer Sprachkurs" "Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer", der jetzt bei Klartext auf CD wiederveröffentlicht wurde, überaus deutlich, wenn auch eher nolens denn volens.

Die "genrebildende Kabarettproduktion" aus dem Jahr 1963 bedient sich des probaten Verfahrens, ihren Gegenstand geradezu wissenschaftlich seriös zu traktieren und dergestalt zu nobilitieren. Die linguistische Analyse in sieben "Lektionen" vermag indes kaum mehr ans Licht zu fördern als Adenauers manisches Verhältnis zu Zahlwörtern, seine Marotte, den bestimmten Artikel zu meiden, und seine (angebliche) Vorliebe für den Genitiv ("Nach München war ich nicht des Bieres wegen gefahren - oder auch natürlich des Bieres wegen"), was des rheinischen Rumpelrhetors Gebräsel immerhin partiell von der Usance der Vorschulkinder abhöbe.

Der Versuch, dem "werten Sprachfreund" das "Kanzlerrheinisch", das "Eigenleben der Kanzlersprache" und das "echte Kanzlerdenken" nahezubringen, fällt so mau und betulich aus, wie das geistig stumpfe, "kantige politische Denkmal" halt war. Da nützt es auch nichts, dass der Steinzeitkanzler laut der WDR-Dokumentation "Konrad Adenauer - Der Patriarch vom Rhein" im Urlaub am Frühstückstisch mit seinen Kindern herzhaft zu scherzen beliebte. Daraus eine "achterbahnartige Sprachmelodie" und die Befähigung zum "klassischen Periodenbau" abzuleiten, erweist sich als objektfremde Unterstellung, für die die spärlich eingestreuten, kurzen und aus Mangel an Belegen mehrfach verwendeten O-Töne keinerlei Anhalt liefern.

Unter demselben Manko einer schmalen Materialbasis leidet bedauerlicher- und erstaunlicherweise das ebenfalls vom Klartext-Verlag als DVD vertriebene WDR-Feature "Das große Palaver - Rede-Reste aus dem Bonner Bundestag". Die "herrlichsten rhetorischen Stilblüten, Versprecher, Boshaftigkeiten und Verbalisierungen kurzzeitiger Umnachtungen" werden da, heißt es, in einem "ausgesprochen humorigen Sprachkurs für Abgeordnete in zehn Lektionen" aufbereitet. Was das zwölfköpfige Autorenteam aus den teilweise nie gesendeten TV-Aufzeichnungen von vierzig Jahren Bonner Republik herausgefischt hat, ist überwiegend erbärmlich und zeugt von einer Unaufmerksamkeit, die mir beinahe strafbar dünkt.

"Herbert Wehner war mein Abgott", bekannte der junge Kommunist Jörg Fauser im Rückblick auf die Rundfunkübertragungen aus dem Parlament. Ich empfand als Kind vor der Glotze ähnlich, und das Gekeife, Gebrumme und Gemoser der Genossen Brandt und Schmidt brachten mich zugleich oft derart zum Lachen, dass ich aus dem Wohnzimmersessel purzelte.

Nichts, rein gar nichts von dem gülden-komischen Flair findet im "Großen Palaver" seinen Niederschlag, in dieser faden Schnipselcollage aus banalen Hasplern und Hängern, öden Sprachbildern, ungelenken Zwischenrufen und gewöhnlichen Missgeschicken. Wo sind all die Wehner- und Strauß-Klassiker abgeblieben, außer in homöopathischen Dosen ("Strauß und all seine Mitsträuße", "patentierte Christen"), wo der ganze kohlsche Unfug und wo sind Joschka Fischers schöne Plärrereien?

Ich räume ein: Aus dem Restebrei heraus ragt der glänzende Ottmar Schreiner, der drei, vier Volltreffer setzt ("Ihnen gelingt es sogar, ein Stück Kuhscheiße in einen Goldklumpen zu reden", "Halten Sie doch mal die Gosch, und hören Sie zu, Sie Kamel!", "Offenkundig ist Ihre Dummheit kaum zu überschätzen"), und eine wahre Pretiose ist mir zudem untergekommen, der Redebeitrag eines mir unbekannten Mandatsträgers: "Die undeutlichen Formen des Kanzlers sind sehr reziplikativ. Sie werden fragen, was das heißt. Das heißt gar nichts, das spricht sich nur so schön." Aber, mit Verlaub, den Scheiß schau ich mir kein zweites Mal an.

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kari

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